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Planetopia 3: Die grösste WG der Welt

Insekten fliegen, krabbeln und summen überall durch unsere Welt. Bunte Falter, schillernde Libellen aber auch Ameisen, Schaben oder Blattläuse begegnen uns ständig – auch wenn wir sie nicht immer auf den ersten Blick sehen. Wenn wir über Biodiversität sprechen, nehmen die kleinen Wesen eine grosse Rolle ein. Schauen wir einmal genauer hin.

Kürzlich redete ich auf einem Besuch im Zoo mit einer Sechsjährigen über Biodiversität. Vor dem Modell eines Termitenhügels lernten wir, dass sich verschiedene Zoos und Tierparks in der Schweiz für die Erhaltung von Insektenarten engagieren (zum Beispiel das Berner Dählhölzli). Als meine Begleitung fragte, warum sie nicht nur Nashörner retten, suchte ich ein Bild für die Biodiversität, mit dem sie etwas anfangen kann – und bin bei der Wohngemeinschaft gelandet. Schliesslich ist ein Termitenhügel auch eine Art WG und ich kenne die reizende junge Dame, weil ich mal mit ihren Eltern eine Wohnung geteilt habe. Also legte ich los: Wir teilen uns einen Planeten mit Millionen Tieren und Pflanzen und alle haben ihren Platz – wie in einer riesigen WG. Die einen sorgen dafür, dass immer Essen da ist, andere machen sauber, wieder andere sorgen dafür, dass wir uns in unserem Zuhause wohlfühlen. Es gibt so viele Mitbewohner:innen, dass wir gar nicht alles mitbekommen, was andere Lebewesen tun. Leider bringen wir Menschen aber Unordnung in diese riesige WG: Zu gewissen Mitbewohner:innen sind wir sehr nett, anderen trampeln wir ins Zimmer. Manche unserer WG-Gspänli werfen wir raus, von anderen merken wir erst, dass sie weg sind, wenn niemand mehr den Müll wegbringt oder den Kühlschrank füllt. Und auch wenn der Beitrag der Mitbewohner:innen vielleicht unsichtbar ist oder keinen direkten Einfluss auf unser Leben hat, sollen sie dennoch einen Platz in der WG haben.

Mit diesem, zugegeben etwas holprigen, Vergleich haben wir dann lange die Idee diskutiert, dass alle Lebewesen miteinander vernetzt sind und dass alle eine Rolle spielen – eben auch Termiten, Käfer und Würmer. «Das ist aber unfair, dass wir Menschen uns als WG-Chefs aufspielen!», fand meine Gesprächspartnerin.

Blicken wir nun etwas in die Zimmer von unseren Mitbewohner:innen, merken wir schnell: Sehr wichtig sind die Insekten. Sie machen schätzungsweise die Hälfte aller Lebewesen auf der Welt aus. Fast eine Million Arten wurden schon wissenschaftlich beschrieben! Und sie übernehmen zentrale Aufgaben: Sie sind wichtige Bausteine von Nahrungsketten, bestäuben Pflanzen und sind essenziell für den Nährstoffkreislauf in den Böden.

Etwa 80% aller Nutz- und Wildpflanzen auf der Erde müssen bestäubt werden, damit sie sich fortpflanzen können. Sie brauchen also Hilfe von den WG-Kollegen, sonst geht gar nichts. Den Star unter den Bestäubern, die Honigbiene, kennen wir gut – wir wissen seit Jahren, wie wichtig sie für den Anbau von Lebensmitteln ist. Filme wie «More than Honey» oder fast schon unheimliche Bilder von Obstplantagen, in denen die Blüten der Apfelbäume von Hand bestäubt werden müssen, zeigen eindrücklich, welche Arbeit die Honigbiene für uns leistet. Sogar Albert Einstein soll schon gesagt haben, dass die Biene das wichtigste Lebewesen unseres Planeten ist.

Auf Youtube ist ein Bericht des TV-Senders Pro7 zu finden, in dem menschliche Bestäuber:innen von ihrer Arbeit erzählen.

Die Geschichte von den Bestäubern, die dafür sorgen, dass unsere Nahrung wächst, lässt sich mit der hübschen Biene hervorragend erzählen. Sie wirkt freundlich und arbeitet fleissig – ideal, um sich in unsere Herzen zu spielen. Es ist denn auch kein Zufall, dass eine Biene im Zentrum unseres neuen Wandbildes aussen am Museum steht. Neben diesem Superstar gibt es tausende weitere Bestäuber. Halten sie im Frühling doch mal Ausschau nach einer Schwebfliege, die sich ebenso wie die Bienen von Pollen und Nektar ernährt und damit auch eine sehr wichtige Bestäuberin ist. Oder wussten sie, dass von den acht verschiedenen Wespenarten, die es in der Schweiz gibt, nur die Gemeine Wespe und die deutsche Wespe bei uns Menschen auf Nahrungssuche kommen? Die anderen Arten verrichten im Stillen einen grossen Beitrag für die Landwirtschaft. Für gut 150 Pflanzen sind Wespen die einzigen Bestäuber und durch ihre Mischernährung bekämpfen sie auch Schädlinge. Sie fressen beispielsweise die Larven des Buchsbaumzünslers. Eine Studie über das schlechte Image der Wespen schätzt, dass die US-amerikanische Landwirtschaft über 400 Milliarden Dollar sparen könnte, wenn sie statt Pflanzenschutzmitteln gezielt Wespen zur Schädlingsbekämpfung einsetzen würde. Neben den netten Bienen sind also auch die netten Wespen aktive WG-Bewohnerinnen.

Nahaufnahme einer Schwebefliege auf einem spitzig gezackten Blatt vor grünem Hintergrund. - vergrösserte Ansicht
Auch gestreift, aber keine Biene: Eine Schwebfliege. (Foto: Pixabay)
Nahaufnahme eines Ästchens mit Blüten, daran hängt eine Feldwespe. - vergrösserte Ansicht
Feldwespen bestäuben auch Blüten. (Foto: Heiko Stein, Pixabay)

Gleichzeitig sollten wir aber auch den Blick auf die ganze WG lenken. Die Natur ist ein einzigartiges Geflecht. Nicht nur für uns Menschen, auch für andere Lebewesen und Ökossysteme sind die Insekten enorm wichtig. Ein einfaches Beispiel aus dem Garten ist der Buchfink, einer der häufigsten Vögel in der Schweiz. Man findet ihn in Bäumen und Sträuchern, und wenn Sie zuhause ein Futterhäuschen haben, ist die Chance hoch, dass ein Buchfink vorbeikommt. Im Vogelfutter aus dem Laden hat es Samen. Solche finden die Finken auch in der freien Natur. Zusätzlich fressen sie auch Insekten, Bucheckern und Beeren. Die Jungen werden vor allem mit Raupen und Insektenlarven gefüttert. Gewisse pflanzliche Bestandteile der Buchfinken-Nahrung können nur wachsen, wenn sie bestäubt wurden. Damit alle Buchfinken genügend Nahrung finden, sind umso mehr Insekten nötig. Die Buchfinken wiederum tragen dazu bei, dass Nutzpflanzen-Schädlinge gefressen werden. Unverdaute Samen verteilen sie mit ihrem Kot weiter und sorgen so dafür, dass Pflanzen sich verbreiten. Vögel leisten so einen wichtigen Beitrag der Vernetzung von Lebensräumen. Damit sie dies tun können, brauchen sie Insekten. Auch hier: Kleine Wesen, grosse Wirkung.

Und übrigens: Wenn sie im Winter bei der Vogelfütterung mithelfen möchten, achten sie darauf, dass sie kein Fett oder Gewürztes bereitstellen. Die berühmten Meisenknödel sind für viele Vögel ungesund und enthalten oft Palmöl. Am besten eignen sich Sonnenblumenkerne, Hanfsamen oder auch Nüsse. Beim Einkauf können Sie darauf achten, dass keine Bestandteile aus Übersee in der Mischung sind.

Auf einem Ast vor grünem Hintergrund steht ein Vogel mit bräunlich-orangem Gefieder. - vergrösserte Ansicht
Nicht Spatz oder Amsel ist der häufigste Brutvogel in der Schweiz, sondern der Buchfink. Auf dem Bild ist ein Buchfink-Männchen zu sehen. (Foto: NABU, Kathrin Rädel)

Eine weitere Mitbewohnerin unserer planetarischen WG hat es schwer mit dem Ruf ihrer Verwandten. Wenn unter einer Terrassenplatte, im Keller – oder noch schlimmer in der Küche – Schaben auftauchen, will man die Kriecher schnell loswerden. Tropische Schaben können in Mitteleuropa nur im Sommer draussen überleben. Wird es kühler, suchen sie den Weg in die warmen Häuser. Passiert das, ist das ein Schädlingsbefall, den man loswerden sollte. Schaben, im Volksmund auch Kakerlaken genannt, können Krankheiten übertragen. Meist werden diese Schaben durch Verpackungen, Küchengeräte oder Reisegepäck eingeschleppt. Leider sorgt diese Tatsache dafür, dass auch die einheimische Bernstein-Waldschabe öfter mal drunter kommt. Es ist nicht so leicht, die verschiedenen Arten zu unterscheiden, doch wenn sie eine durchgehend hellbraune Schabe ohne Querstreifen auf dem Rücken im Freien antreffen, kann es gut sein, dass es die Bernsteinschabe ist. Diese Art «verirrt» sich sozusagen in Häuser und kann in Innenräumen nicht überleben. Dieses Insekt verwertet Pflanzenabfälle und trägt so zur Humusbildung bei. Ein Gartenexperte bezeichnet es als Regenwurm der Oberfläche. Sie sind harmlos und gehören zu den tausenden Tieren und Mikroorganismen, die unsere Böden nährstoffreich halten.

Nahaufnahme eines kleinen hellbraunen Käfers mit länglicher Form und langen Fühlern.  - vergrösserte Ansicht
Die Küchenschabe (eine tropische Schabe) mit dunklen Streifen auf dem Rückenschild. (Foto: Wikimedia Commons)
Nahaufnahme eines hellbraunen Käfers mit länglicher Form und Fühlern. Es ist keine Küchenschabe, sondern eine Bernstein-Waldschabe. - vergrösserte Ansicht
Männchen der Bernstein-Waldschabe. (Foto: Wikimedia Commons)

Wespen, Buchfinken und Bernsteinschaben sind nur drei Tiere, die die Welt mit uns teilen. Sie leisten einen Beitrag zu funktionierenden Ökosystemen. Wenn Sie gute Mitbewohnende für diese Wesen sein wollen, können Sie mehr auf deren Lebensräume Acht geben und auch mal für eine Mahlzeit sorgen.

  • Haben Sie einen Garten? Dann lassen Sie Platz für etwas Chaos. Ungemähte Stellen bieten Lebensraum für verschiedene Insekten. Laub- und Asthaufen bieten ebenfalls Unterschlupf und Nahrung.
  • Verzichten Sie im Garten und auf dem Balkon auf Pflanzenschutzmittel und informieren Sie sich über Nützlinge.
  • Unterwegs in der Natur können Sie dafür sorgen, keinen Schaden in Wiesen und Gehölzen anzurichten. Bleiben Sie auf den Wegen, nutzen Sie nur markierte Feuerstellen und brechen Sie nicht durch Hecken.
  • Beim alltäglichen Einkauf können Sie Nahrungsmittel wählen, die ohne Pestizide angebaut wurden.

Und zum Schluss: Nehmen Sie sich Zeit, schauen Sie hin und entdecken Sie das faszinierende Leben unserer kleinen Mitbewohner in der kompliziertesten aller WGs namens Welt.

Autorin

Alexandra Heini, Ausstellungskuratorin, Museum für Kommunikation, Bern

Planetopia - Raum für Weltwandel

Dieser Blog-Post entstand im Rahmen der Ausstellung Planetopia - Raum für Weltwandel.

Die ökologische Krise betrifft alle. Es ist höchste Zeit, dass wir uns den Umweltproblemen stellen und sie auf breiter Basis diskutieren. Welche Lösungen können wir entwickeln? Was ist wirksam? Was ist sinnvoll? Gemeinsam mit Ihnen wollen wir herausfinden, wie verantwortungsbewusstes Leben in der Zukunft aussieht. 

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