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Zur Geschichte des Schweizer Internet Memes: Von den Anfängen in den 2000ern hin zum Shitposting von heute

Wer auf Social Media glänzen möchte, der kommuniziert in Memes. Diese meist aber nicht immer witzigen Bilder in tiefer Auflösung, die ebenso schnell auftauchen, wie sie wieder verschwinden und für Ungeübte manchmal schwer zu deuten sind. Doch wie hat sich dieser ganz spezifische Online-Humor eigentlich in der (Deutsch-)Schweiz entwickelt und welche Rolle spielten die Social Media-Plattformen der jeweiligen Zeit dabei? Ein Gastbeitrag von Stewia.

Was ist ein Meme? Eine Frage, die spätestens seit der Pandemie auch in der Mainstreamdebatte angekommen ist. Radiosendungen, Podiumsdiskussionen, Publikationen oder gar ganze Podcastreihen (z.B. «das Netz») ergründen das Thema von unterschiedlichen Perspektiven. Nehmen wir der Einfachheit halber eine Abkürzung und sparen uns das obligatorische Richard Dawkins-Intro, welches zum Beispiel in der 1. Folge der Podcastreihe «das Netz» behandelt wird. Einigen wir uns darauf, dass es sich um von User:innen modifizierte Bilder, Videos oder Texte handelt, die zur Belustigung und Unterhaltung anderer ins Internet hochgeladen werden. Eine neue Kommunikationsform, die sich zwischen Geheimsprache, Poesie, digitaler Folklore und postmodernen Hieroglyphen bewegt und sich unaufhörlich am Weiterentwickeln ist. Doch wie hat sich die (Deutsch-)Schweizer Meme-Kultur über die Jahre entwickelt hat und welche Rolle spielten dabei die Social Media-Plattformen der jeweiligen Zeit? 

 

Eine Grafik der Internetnutzung in der Schweiz nach Alter, die zeigt, wie die Nutzung seit 2000 massiv zugenommen hat. In den Altersklassen bis 50 Jahren nutzen fast 100% das Internet regelmässig. - vergrösserte Ansicht
Die Internetnutzung in der Schweiz hat in den letzten 25 Jahren sehr stark zugenommen. Mittlerweile ist ein Grossteil der Schweizer:innen online.

Die Anfänge im Dark Forest: Foren, Chaträume, Facebook-Vorläufer

Als ab der Jahrtausendwende die private Internet-Nutzung in den Schweizer Haushalten rasant zunahm, erwuchs damit auch das Bedürfnis sich auszutauschen und eigene Inhalte ins Netz zu stellen. Während sich Unterhaltungen unter Internet-Nutzer:innen vorwiegend in Chaträumen oder Foren abspielten, entwickelte sich gleichzeitig auch ein Ökosystem von Websites, die durch Hyperlinks aufeinander verwiesen. So auch im humoristischen Bereich, wo Websites wie Humor.li oder Bambusratte.com es sich zum Auftrag machten, witzige Inhalte zusammenzutragen und ihren Besucher:innen for the lulz zugänglich zu machen. Während Bambusratte noch immer online ist, lassen sich von Humor.li nur noch die digitalen Ruinen auf archive.org besichtigen und damit auch schon Vergleiche zur heutigen Zeit anstellen. Was im Web2.0 die Hashtags sind, waren damals die Kategorien unter denen sich die Bilder, Videos oder Witze auf den Websites finden liessen.

Ab Mitte der 2000er-Jahre fungierten regionale Partyfoto-Portale wie Festzeit in der Nordwestschweiz, Polarstar in der Zentralschweiz, Lautundspitz in der Ostschweiz, Partyguide in Bern oder das Selfie-Portal MeinBild als Social Media-Plattformen avant la lettre. Mit steigender Beliebtheit mutierten sie zu einem Kontaktnetzwerk für Jugendliche, wo neben Fotos auch bald lustige Bilder, gefunden oder selbstgemacht, hochgeladen und kommentiert werden konnten. Mit dem Siegeszug von Facebook ab dem Ende der 2000er und den zeitgleich immer besseren Handykameras, verloren die regionalen Partyfoto-Portale aber innert kürzester Zeit an Nutzerzahlen und Relevanz.

Screenshot der Plattform Humor.li. Zu sehen sind links zahlreiche Kategorien und rechts Witze in Textform, teilweise mit kleinen einfachen Grafiken aus den Frühzeiten des Internets. - vergrösserte Ansicht
Eintauchen in die frühen Jahre des Internets, also noch Tabellenordnung dominierte und Bilder die Ausnahme waren. Humor.li ist eine der frühen regionalen Websites, die sich dem digitalen Humor verschreiben.
Screenshot der Plattform meinBild: Zu sehen sind Fotos mit Texten dazu, die schon erste Elemente von Social Media vornewegnehmen. - vergrösserte Ansicht
MeinBild.ch ist eine Selfie-Plattform des Schweizer Programmierers Jvo Maurer. Gestartet wurde sie 1999, lange bevor die bekannten Social Media-Plattformen Einzug hielten.

Virale Hits auf Youtube: Osman bei Fohrler live, «S bescht wos je hets gits!» usw.

Mit dem Start von Youtube im Jahr 2005, fanden alte und neue Videos, die davor noch ein Nischendasein auf privaten Websites oder Email-Verteilern fristeten, zum ersten Mal auf einer öffentlich zugänglichen, zentralisierten Plattform eine gemeinsame Heimat. Das Fundament dieser frühen Schweizer Memes bildeten oft aufgezeichnete Ausschnitte von TV-Sendungen, meist von privaten oder regionalen Fernsehsendern wie TV24, TeleZüri oder TeleBasel. Viele im damaligen Prä-Mediatheken-Zeitalter in mühevoller Arbeit selbst aufgezeichneten, digitalisierten, geschnittenen und hochgeladenen Videos geniessen bis heute Kult-Status und haben Einzug ins kollektive Gedächtnis Deutschweizer Digital Natives gefunden. Virale Videos, wie etwa der Klassiker Osman bei Fohrler Live, der TeleZüri-Beitrag über den IV-Rentner Yilmaz Z. oder der TeleBasel-Ausschnitt einer Party im Laufental, wo der geflügelte Ausdruck «S bescht wos je hets gits!» seinen Ursprung hat, dienen teilweise bis heute als Basis für Memes.

Wie der Soziologe Rohit Jain in seinem Aufsatz Das Lachen über die «Anderen»: Anti-Political-Correctness als Hegemonie anhand eines SRF-Sketches zum sogenannten Täschligate aufschlüsselte, dominierte im Schweizer Lachverhalten noch bis weit in die 2010er-Jahre eine Art Swiss Gaze, welcher «das unerwartete Auftauchen der schwarzen Frau in der weissen und kulturell homogenen Schweiz» selbst zum Spektakel ernannte. Demnach drängt sich die Frage auf: Lachten wir, als wir Osman, Yilmaz Z. und Co. zum ersten Mal über den Bildschirm flimmern sahen, tatsächlich über ihre Pointen oder war nicht eher der gebrochenes Mundart sprechende Migrant selbst die Pointe?

Sceenshot aus einer Fernsehsendung: Zwei Jugendliche sitzen auf Plastikstühlen in der Sendung Fohrler live. - vergrösserte Ansicht
2001 tritt der Jugendliche Osman (links im Bild) in der Sendung "Fohrler Live" (TV 3) zum Thema Jugend und Gewalt auf.

Erste Memepages und Einzug in den Mainstream: Swissmeme, Zeki, Bendrit und Co.

Am Erfolg der viralen Youtube-Videos anknüpfend entstand im Jahr 2013, die bekannteste Memepage der Schweiz: Swissmeme von Zeki Bulgurcu, die zunächst auf Facebook und später auf Instagram bis heute Bilder und Videos postet. Gerade zu Beginn spielten Video-Ausschnitte von Fernsehsendern noch eine zentrale Rolle im Content von Swissmeme. Deren Bedeutung nahm aber kontinuierlich ab, was durch die immer mehr auf die User zentrierten Inhalte, die auf den Plattformen zirkulieren zu erklären ist. Spätestens mit dem Durchbruch der Video-Plattform TikTok sind die Social Media-Nutzer:innen selbst zu Hauptprotagonist:innen der Memes aufgestiegen.

Im Windschatten erfolgreicher Meme-Pages etablierten sich im Verlauf der 2010er-Jahre sowohl auf Facebook, als auch später auf Instagram Nischen-Seiten, die hyperlokales Geschehen aus Schulen, Ortschaften oder Regionen in Memes verarbeiten, genauso wie etwa von spezifischen Branchen, Berufsfeldern oder Milieus. Die Haltbarkeitsdauer solcher Meme-Pages kann stark variieren, manche enden, sobald der oder die Admins die Schule, den Beruf oder den Wohnort wechseln, andere etablieren sich und werden zum Ankerpunkt in ihren Communities. Gerade ortspezifische Meme-Pages aus «flyover»-Regionen, die für grosse Medienhäuser immer uninteressanter werden, fungieren mit ihren Memes als News-Aggregatoren in ihrem Einzugsgebiet. Genau wie herkömmliche Medien werben sie für lokale Produkte und Dienstleistungen oder verkaufen Merchandising. Nicht unerwähnt soll auch der linguistische Wert solcher Seiten bleiben, wo sowohl in den Posts, als auch in den Kommentaren die jeweils ortsspezifische Nutzung und Entwicklung zeitgenössischer Mundart beobachtet werden kann.

Meme mit dem Foto eines Kindes, das grün eingefärbt und mit M-Budget-Logo versehen ist. Oben links die Abbildung von M-Budget-Präservativen. - vergrösserte Ansicht
Memes nutzen alltägliches für digitalen Humor.

Memes heute: Normie-Memes vs. Nischen-Shitposting und Celebrity Kultur

Abschliessend wollen wir unseren Blick auf die Meme Accounts richten, welche sich dem Shitposting verschrieben haben. Einer Form des Memens, in dem der Unterschied zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit verschwommen ist. Wichtiges Distinktionsmerkmal von Shitposts, ist, dass sie gerade nicht «relatable» sein wollen. Sie wollen befremden oder gar verstören, sowohl inhaltlich, wie auch ästhetisch. Es wird sehr stark mit In- und Outgroups gearbeitet; die Insiderwitze sollen nur Eingeweihte verstehen. Shitposter:innen geht es nicht darum ein einzelnes Meisterwerk zu posten, sondern ihre treuen Follower:innen mit einem konstanten Output zu versorgen, der nur zusammen, oft auch in Kombination mit den Memes anderer Shitposter:innen, als Gesamtkonstrukt interpretiert werden kann. Bereits 2011 bezeichnete der amerikanische Post-Internet-Künstler Brad Troemel, Mitgründer des zwischen 2009 und 2014 aktiven Tumblr-Blogs TheJogging, diese Form der Kunstproduktion in einem Essay für The New Inquiry als Athletic Aesthetics. Anders als viele gewöhnliche Social Media-Nutzer:innen ist sich ein:e Shitposter:in bewusst, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Betrachter:innen relativ kurz ist. Entsprechend wird gepostet was das Zeug hält, auch unfertige, für den herkömmlichen Benutzer («Normie») möglicherweise als hässlich gelesene Memes. Viele Memes setzen zudem ein Mindestmass an Allgemeinwissen aus der Memesphere voraus, etwa über aktuelle, klassische oder neuartige Meme-Templates und deren Spielarten. Einige Meme-Pages gehen sogar noch einen Schritt weiter und verlangen von ihrem Publikum mit einer bestimmten Subkultur oder ortsspezifischen Eigenheiten und Ausdrücken vertraut zu sein. Wenn Sie also das nächste Mal einem Meme begegnen, dass für Sie keinen Sinn ergibt, liegt das wahrscheinlich einfach daran, dass Sie nicht zur Zielgruppe («Ingroup») gehören.

Mit dem Beginn der Pandemie nahmen auch in der Schweizerdeutschen Memesphere die Accounts, die sich dem Shitposting widmen sprunghaft zu. Manche hörten nach kurzer Zeit wieder auf, andere posten bis heute und sind mit ihren Aktivitäten gelegentlich gar ein Thema in der Klatschpresse. Teilweise gelingt es Leuten, die einst mit dem Posten von Memes begannen, sogar der Sprung zu grossen Medienhäusern oder sie erreichen eine solch grosse Bekanntschaft und Reichweite, dass sie sich gleich selbst zu begehrten Gesichtern auf dem Werbemarkt verwandeln.

Ausblick: Balkanisierung der Memesphere und die Frage des Archivs

Insbesondere Meme-Pages mit einer hohen Posting-Kadenz beklagen seit einiger Zeit die undurchsichtigen Community Guidelines auf Instagram, welche erfolgreiche Seiten zuweilen von einem Tag auf den anderen ohne Kommentar aus dem Verkehr ziehen. Oft geht diesem Akt das sogenannte «Shadowbanning» voraus, bei dem die Sichtbarkeit der Seite und ihrer Posts stark eingeschränkt wird. Als Konsequenz davon balkanisiert sich die Memesphere immer weiter auf oft nur Insidern bekannten, halb-öffentlichen Kanälen auf Diensten wie Reddit, Telegram, Discord oder Mastodon. Ironischerweise könnte also ausgerechnet die Politik des Meta Konzerns die Rückkehr zu einem fragmentierten, dezentralisierteren Internet, wie wir es aus dem Web1.0 kannten, beschleunigen.

Für Institutionen und Archive stellt sich derweil die Frage, ob und in welcher Form Memes, die eben so schnell verschwinden, wie sie auftauchen, archiviert werden sollen. Dürfte dieses schier unerschöpfliche Kulturarchiv für künftige Generationen doch wichtiges Material für die historische Einordnung unserer Gegenwart darstellen.

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