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«Und der Tod kommt oft so rasch» - 200 Briefe und zwei Tagebücher als Zeitzeugen

Drei junge Erwachsene liegen krank im Sanatorium und hoffen darauf, zurück ins Leben entlassen zu werden. Ihre täglichen Sorgen und Lichtblicke halten sie in Briefen aneinander fest. Dieser unverstellte Blick in den von Tuberkulose geprägten Alltag der Familie Fröhlich um 1930 ermöglicht das neu erschienene Buch «An Tuberkulose erkrankt», herausgegeben vom Museum für Kommunikation.

«Bin ich zwischen Himmel und Erde? Ich weiss es so gar nicht.», schreibt die kranke Emmi Fröhlich. Sie wartet lungenkrank und fernab der Gesellschaft auf die langersehnte Besserung. Das klingt unerwartet aktuell. Doch für einmal geht es nicht um Corona, sondern um Tuberkulose. Vor fast 100 Jahren herrscht die Weisse Pest in der Schweiz. Das Buch «An Tuberkulose erkrankt» nimmt seine Leser:innen mit in die Zeit um 1930. Die Sammlung aus Briefen und Tagebucheinträgen der Geschwister Fröhlich wurde kürzlich vom Museum für Kommunikation im Chronos Verlag publiziert. Es ist gleichzeitig ein Zeitdokument und ein hochpersönlicher Blick in eine tragische Familiengeschichte.

Die Tuberkulose trifft die Familie Fröhlich hart. Die Mutter stirbt 1928, darauf erkranken drei ihrer vier Kinder und verbringen lange Zeit mehrheitlich im Sanatorium Clavadel bei Davos. Ein reger Briefwechsel zwischen den um die 20 Jahre alten Geschwister Emma (geboren 1908), Gertrud (geboren 1909) und Hans (geboren 1912) dokumentiert die Jahre zwischen 1929 und 1935 emotional und detailliert. Ergänzend dazu geben die Tagebücher von Emmi einen tiefen Einblick ins Leiden und Ausharren der jungen Frau im Sanatorium.

Auf einem einfachen Holzstuhl sitzt die lachende Emmi Fröhlich in der Sonne. - vergrösserte Ansicht
Emmi Fröhlich 1929 im Sanatorium Clavadel. Ihre Tagebücher geben einen berührenden Einblick in den Alltag im Sanatorium und das quälende Warten auf bessere Gesundheit.

Es ist ein Leben in der Warteschleife. Die unbeschwerte Jugend endet abrupt – jugendlicher Elan, Liebe und Abenteuer bleiben auf der Strecke. Die Krankheit verpflichtet 1928 zuerst Hans und ein Jahr später auch Emma Fröhlich zu einem Leben im Schongang. 1931 wird auch Getrud mit Tuberkulose nach Davos geschickt. Über Monate bleiben sie ans Bett gefesselt. Bewegung wird zum bescheidenen Luxus, dafür bleibt scheinbar endlos viel Zeit zum Nachdenken. Zeit für Schuldgefühle, Trauer, Ohnmacht, Selbstzerfleischung. Arbeiten können sie maximal zwischenzeitlich in geeigneten Höhenlagen, wenn die Krankheit etwas Spielraum gewährt. Neben einem Gefühl der Nutzlosigkeit begleitet die drei deshalb auch die konstante Sorge um die Finanzierung des Aufenthalts im Sanatorium. Alle Versuche, positiv zu denken, haben einen schweren Stand. Hier geben insbesondere die Tagebucheinträge von Emma tiefe Einblicke ins verzweifelte Innere: Die Sehnsucht nach einem normalen Leben, Gesundheit, Liebe – und dann zunehmend Hoffnungslosigkeit. Hans stirbt nach drei Jahren im Sanatorium erst 19-jährig. Emma kann zwar zwischenzeitlich wieder arbeiten, doch die Krankheit zwingt sie immer wieder zu einer Rückkehr ins Sanatorium Clavadel. Sie stirbt dort im Juli 1935.

Auf der Treppe vor dem Eingang zum Sanatorium Clavadel stehen Hans und Emmi Fröhlich, zwei junge Menschen in festlicher Kleidung. - vergrösserte Ansicht
Hans und Emmi vor dem Haupteingang des Sanatoriums Clavadel (1929), wo sie wegen Tuberkulose behandelt werden.

Einzig Getrud Fröhlich überlebt die Krankheit trotz mehreren Rückfällen. Sie lebt und arbeitet bis zu ihrem Tod 1993 in Davos. Beim Umzug ins Altersheim übergibt sie ihrer Nichte einen kleinen, braunen Lederkoffer mit den Briefen ihrer Geschwister und zwei Tagebüchern von Emma. Dieses berührende Zeitdokument wurde nun über Umwege in der Schriftenreihe des Museums für Kommunikation veröffentlicht. Fast 100 Jahre später erhalten wir so einen direkten Einblick in diese ergreifenden Schicksale. Neben der persönlichen Geschichte ist das Buch auch ein wertvolles Zeitdokument, eine Art Oral History avant la lettre. Historische Gegebenheiten spiegeln sich in den Texten genauso wider wie die gesellschaftlichen Zwänge der Zeit, die insbesondere in Emmas Tagebucheinträgen deutlich werden. Auch wenn die Textform mit den Briefen nicht besonders lesefreundlich ist, lohnt sich die Lektüre dank dem unverfälschten Blick in eine reale Geschichte.

Die Briefe und Tagebücher werden in der Sammlung des Museums für Kommunikation für künftige Generationen aufbewahrt.

 

 

«An Tuberkulose erkrankt – Briefe der Geschwister Fröhlich aus dem Sanatorium Davos-Clavadel (1928-1935)» - Museum für Kommunikation, Kurt Stadelmann (Hg.), erschienen im Chronos Verlag, Zürich

Das Buch kann hier bestellt werden.

Autor

Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation, Museum für Kommunikation, Bern

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