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This Is Our Museum

Im Sommer 2024 weilt unsere Direktorin, Jacqueline Strauss, einige Wochen in New York City. Natürlich besucht sie rege Museen. Eine Auswahl ihrer persönlichen Eindrücke aus Brooklyn, Queens und Manhattan schildert sie in diesem Blog. 

«This is our museum», sagt stolz die Lady, die sich schräg gegenüber an meinen Tisch gesetzt hat. Im Café des Brooklyn Museums komme ich ins Gespräch mit meiner Tischgenossin und frage sie, wie gut sie das Museum kenne. Volltreffer. Sie entpuppt sich als Einheimische, die gleich gegenüber wohnt. Also frage ich, was denn das Museum in der Nachbarschaft für eine Bedeutung habe. «Das ist unser Museum». Und jeweils am Freitag bei der Abendöffnung sei besonders viel los. Von ihrer Wohnung aus beobachte sie die langen Schlangen von jungen Menschen, die auf Einlass warten. Die Dame ist gewissermassen «the proof of the pudding»: Das Brooklyn Museum, bekannt für Kunst und historische Artefakte aus aller Welt, lebt glaubwürdig seine Mission und hat sie nicht nur auf seiner Website stehen. In der Museumswelt hat sich dieses zweitgrösste New Yorker Museum einen Namen gemacht, weil es die vielfältige Bevölkerung rundherum konsequent einbezieht. Zum Beispiel mit Programmen, die eine interne und bezahlte Gruppe von Teenagern für ihre Altersgenoss:innen entwickelt. Ich bin sehr beruhigt, dass auch noch im März 2025 – also nach dem Regierungswechsel in den USA und dem darauffolgenden Verbot von Wörtern zu Diversität, Gleichheit und Inklusion (kurz DEI) – sich das Museum auf seiner Website explizit zu Programmen mit in der Kunst unterrepräsentierten Menschen bekennt.

Später begleitet mich eine der Kuratorinnen durchs weitläufige Haus und öffnet mir eine verschlossene Türe zur im Aufbau stehenden Ausstellung «Toward Joy. New Frameworks for American Art». Die Präsentation der berühmten Sammlung zur amerikanischen Kunst wird anlässlich des 200. Jubiläums völlig neu ausgerichtet. Thematische Zonen laden neugierige Besuchende mit unterschiedlichstem Alter und Lebensweg ein. Die Ausstellung versteht sich als Katalysator für Dialog, Spiel, Kreativität und kritische Reflexion. Bei meiner Preview letzten Sommer stelle ich erfreut fest, dass das Konzept viele Parallelen mit der permanenten Ausstellung des Museums für Kommunikation hat. 

Die Zone mit historischer Porträt-Malerei und historischen Möbeln wird unter dem Titel «Several Seats» zusammengefasst. Bereits dieser Titel ist kodiert, wie ich als Schweizerin dazu lerne. Mit «Have several seats» reagieren Menschen der schwarzen oder lateinamerikanischen LGBTQ-Kultur, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, wenn jemand einen Raum monopolisiert. Passend zu diesem Kontext bietet das Museum nun einen neuen Blick auf die historischen Porträts in seiner Sammlung. Die weissen Siedler:innen liebten diese Form der Selbstdarstellung. Für die Ausstellung werden nun ausschliesslich gemalte Porträts mit sitzenden Figuren gewählt. Und als Reaktion auf die Dominanz und Privilegien der aus Europa Zugewanderten werden zum ersten Mal deren Porträts konsequent tief und nahe dem Boden gehängt. Dies als Ausgleich, weil sie lange überhöht an den Museumswänden prangten. Und dass auch Stühle Identitäten repräsentieren, verdeutlicht ihre ebenfalls ungewöhnliche Platzierung an der gegenüberliegenden Wand. Ein Holzstuhl etwa, den ich einem Siedler zuordnen würde, steht frech einem Kinderstuhl aus Kunststoff gegenüber. Ich denke unwillkürlich an die Kernausstellung des Museums für Kommunikation, die in der Zone Tools die auch unterschiedlichste Objekte kombiniert.  

Man würde es nicht erwarten, aber eine Reise nach Japan startet am Pier im Financial District. Ich schippere mit der öffentlichen Fähre eine Stunde den East River hoch. Als ich auf der gegenüberliegenden Flussseite lande, könnte der Kontrast zu den Wolkenkratzern von Manhattan nicht grösser sein. Google Maps führt mich quer durch ein schlichtes Wohnquartier. Entlang von tiefhängenden Freileitungen und auch mal einer Brache hinter einem provisorischen Gitterzaun. Gerade beginne ich zu zweifeln, ob mein digitaler Guide zielführend ist. Da lese ich vor mir an einer dunkelroten Backsteinfassade: «noguchi». Ich bin erleichtert, will ich doch das ehemalige Studio und heutige Museum von Isamu Noguchi besuchen. Mir war der Amerika-Japaner lange ausschliesslich als Designer von filigranen Papierlampen bekannt. In der Ausstellung im Berner Zentrum Paul Klee von 2022 lernte ich dann auch seine freie Kunst kennen. Seither lese ich die weissen Lampenschirme unwillkürlich als menschliche Köpfe. Hier tauche ich in Noguchis Welt ein. Es ist ein sehr persönlicher Ort. Ich fühle mich willkommen in diesen übersichtlichen und ruhigen Räumen mit Noguchis Skulpturen. Der Rundgang führt mich schliesslich in den Garten, meinem Highlight.

Ein Mauer schirmt ihn von der Strasse ab. Im Zentrum wächst ein grosser Baum, die grüne Krone ebenso ausladend wie die weitgreifenden Wurzeln. Wohlpositioniert gibt es weitere Skulpturen. Etwa ein abgeschrägter Steinquader, über den wie eine glänzende Hülle langsam Wasser fliesst. Der Boden ist mit grobem grauem Kies belegt. Trotz diesen spitzen Steinen kann ich mich hinsetzen, denn es stehen aus Schilf geflochtene Sitzmatten zur Verfügung. Viele der Besuchenden suchen sich damit ihren Platz und verteilen sich unter dem schattenspendenden Baum. Der gestaltete Aussenraum schafft wie von selbst eine meditative und erholsame Stimmung.

In der Fülle der Grossstadt schätzen die Menschen das Nichts-Tun. Nicht nur in Noguchis Garten, sondern auch im Whitney Museum of American Art. Jeden Freitag gibt es Abendöffnungszeiten, den beliebten Einlass verdienen sich die Menschen auch hier genügsam mit Schlangestehen. Im Sommer 2024 präsentiert das Museum zeitgenössisches Kunstschaffen unter dem Titel «Better than the real». Die präsentierten Arbeiten konfrontieren uns damit, wie die künstliche Intelligenz gerade in Frage stellt, was als real und echt gilt. Ein Kontrast zu den Ausstellungsgalerien bietet der Veranstaltungsraum, der an diesem Abend geöffnet, doch leer ist.  

Einzig ein paar Sitzgelegenheiten und Licht im Spektrum gelb-orange-rot-pink kleiden ihn aus. Das Publikum nimmt das Angebot gerne an – die Leute bleiben auffällig lange im Raum sitzen. Einige still, andere in angeregten Gesprächen. Was es zu sehen gibt? Nichts. Einzig durchs wandgrosse Panoramafenster bietet sich der spektakuläre Blick auf den Hudson River im Sonnenuntergang. Real und besser als KI, wie mir scheint. 

MOMA und MET, dann das kürzlich erweiterte American Museum of Natural History und das Solomon R. Guggenheim Museum, alles Häuser mit Weltruf, sind rund um den Central Park verteilt. Mit dem Guggenheim hat der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright einen ikonischen Bau der Moderne geschaffen. Bereits von aussen ein weisser Blickfang, besticht im Innern die spiralförmige Rampe, die in einem gewölbten Oblicht mündet. Bei meinem Besuch spielt die bewegte Text-Licht-Installation «Light Line» der Konzeptkünstlerin Jenny Holzer eindrücklich und einprägsam mit dieser Architektur. Entlang der endlosen weissen Brüstungen schrauben sich durchlaufende LED-Textbänder mit Sätzen wie «RAISE GIRLS AND BOYS THE SAME WAY». Auch ich selbst schraube mich Etage um Etage hoch und wieder runter, gönne mir immer wieder einen Blick in die Tiefe.

Wieder im Erdgeschoss entdecke ich linkerhand in einer vergessenen Nische zwei Telefonkabinen. Passgenau aus Holz gefertigt, inklusive fix montierter Sitze auf knappstem Raum. Einzig die Telefonapparate sind demontiert. Ich komme zum Schluss, dass die moderne Architektur aus den 1950er-Jahren bis heute funktioniert, was auch die aktuelle ortsspezifische Arbeit von Jenny Holzer beweist. Hingegen sind die Telefonapparate aus dieser Epoche definitiv Museumstücke – wie man sie etwa im Museum für Kommunikation in Bern findet. 

Autorin

Jacqueline Strauss, Direktorin, Museum für Kommunikation

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