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«Teilhabe im Museum? Nichts leichter als das…»

Wie sollen sich die Menschen für das Museum interessieren, wenn sich das Museum nicht für die Menschen interessiert? Unser Museum möchte sich aktiv an der Bearbeitung gesellschaftlicher Fragestellungen beteiligen. Dafür sollen viele zum Museum beitragen und mitgestalten. Ehrliche Partizipation wird in der Umsetzung sehr schnell komplex. Wir kommen im Museum für Kommunikation in kleinen Schritten voran auf dem Weg zu einer Institution, die Ressourcen, Wissen und Unwissen teilt.

«Teilhabe im Museum? Nichts leichter als das…», sagte Frederick zu Piggeldy und spazierte mit seinem Bruder über Land. «Teilhabe, das ist ganz einfach, kommt von teilen und von haben. Jemand, zum Beispiel die Menschen, die im Museum arbeiten, haben etwas, und dieses teilen sie mit Menschen, die nicht im Museum arbeiten.»
«Was haben die Menschen, die im Museum arbeiten?» fragte Piggeldy.
«Hmm» überlegte Frederick, der immer alles wusste, länger als üblich. «Sie haben Dinge im Museum. Und über diese Dinge wissen die Menschen im Museum Bescheid. Weisst du, Piggeldy, zu jedem Ding gehört nämlich auch eine Geschichte. Und so wie ich dir Geschichten erzähle, teilen die Menschen, die im Museum arbeiten, ihre Geschichten mit anderen.»
Piggeldy trottete neben seinem gescheiten Bruder und schwieg lange, denn er musste überlegen.
«Frederick?» meinte Piggeldy schliesslich. «Frederick, haben eigentlich Menschen, die nicht im Museum arbeiten, auch Dinge und Geschichten?»
«Selbstverständlich» antwortete Frederick. «Alle Menschen haben Dinge und Geschichten.»
Piggeldy blieb stehen und schaute seinen Bruder mit grossen Augen an. «Aber Frederick, könnten denn die Menschen, die nicht im Museum arbeiten, ihre Dinge und Geschichten nicht auch ins Museum bringen und dort mit allen teilen
Frederick runzelte die Stirn, dann sagte er zu Piggeldy: «Du bist mir vielleicht ein schlauer kleiner Bruder, Piggeldy. Du hast recht, das könnte funktionieren. Aber ich vermute, dass das keine leichte Sache ist.»

 

(Frei nach der Trickfilmserie Piggeldy und Frederick. Elke Loewe, Dietrich Loewe. ARD.)

Karikatur mit Mona Lisa - vergrösserte Ansicht
© Tom Künzli «TomZ»

Teilhabe – die schwierigste Disziplin auf dem Museumsparkett

 

Der Weg von affirmativer zu transformativer Vermittlung, welche die gesellschaftliche Mitgestaltung ermöglicht, ist in der Tat gespickt mit Stolpersteinen. Wie kommen wir vom Dozieren zum echten Dialog? Der wohl grösste Stolperstein ist die Tatsache, dass die Institution gegenüber den potenziell Teilhabenden einen Machtüberschuss hat. Schliesslich ist es meistens die Institution, die Teilhabe ermöglicht und Rahmenbedingungen festlegt. Die Gefahr der Instrumentalisierung ist gross. Mit einem hohen Mass an Selbstreflexion in der Tasche müssen vor der Lancierung eines Teilhabeprozesses sehr genau die Zielsetzungen für alle Beteiligten geklärt werden:

  • Wie schaffen wir eine win-win-Situation?
  • Was ist der Aktivitätsgrad?
  • Wie ist die Organisationsform?
  • Welche Thematik behandeln wir?
  • Und wie sind die Machtverhältnisse im Prozess?

Im Museum für Kommunikation haben wir im Sinne der Förderung einer teilhabeorientierten Praxis vier Handlungsfelder definiert:

Auszug aus dem Konzeptpapier "Digitales Museum" - vergrösserte Ansicht
Auszug aus dem Konzeptpapier zu Partizipation im «Digitalen Museum» 2020. Das vollständige Dokument finden Sie weiter unten in diesem Blogpost.

Die Wir-Formulierung in diesen Sätzen suggeriert einen Konsens in unserer Institution. Doch so einfach ist es nicht. Es gilt auch in unserem Museum immer wieder bereichs- und hierarchiestufenübergreifend den Diskurs zu führen, Positionen auszuhandeln und Haltungen zu entwickeln. Der Trick ist, Teilhabe nicht nur mit Publikum, sondern zuallererst mit den Mitarbeitenden zu pflegen.

Foto eines Open Labs - vergrösserte Ansicht
An sogenannten «Open Labs» werden im Museum für Kommunikation regelmässig Teilhabeprozesse angestossen. Vormittags bereichsübergreifend intern, nachmittags offen für alle Interessierten: Besuchende oder auch Mitarbeitende benachbarter Institutionen.

Wir dürfen reden

 

Mit dem 2017 zur Gesamterneuerung unseres Museums entwickelten Vermittlungskonzept, der «Berner Formel», haben wir uns im Museum für Kommunikation langfristig zum Dialog verpflichtet. Wir leben mit unseren Kommunikator:innen die Formel «Erlebnis gefolgt vom Erfahrungsaustausch gefolgt von Erkenntnis = Publikum multipliziert mit dem Museum» (E3=PxM) tagtäglich. Das ist einer der Eckpfeiler unserer Teilhabekultur.

Der Wille, den Weg von reiner Wissensvermittlung hin zu einer erkenntnisorientierten Kultur der Teilhabe zu beschreiten, basiert auf zwei Erfahrungen: Der in den 2000er-Jahren entstandene Diskurs zu Partizipation im Museum und der sich dadurch verändernden Rolle der Institution. Das Museum für Kommunikation hat beide Entwicklungen aktiv mitgestaltet. In internen Diskussionen wie im Rahmen von Tagungen und Publikationen. Und parallel dazu haben wir unzählige Teilhabeformate ausprobiert. Begonnen mit einer Sammlung von Geschichten zu «Mein erster Computer» im Rahmen der Ausstellung «Control-Alt-Collect» (2001) bis zur Museums Academy, einem ergebnisoffenen zweijährigen Partizipationsprojekt mit Jugendlichen in der Freizeit (2013-2015). Aus den vielen Erfahrungen entstand das Bedürfnis nach einer klareren Ausrichtung unserer Aktivitäten. 

Foto der Jugendusstellung Facecase - vergrösserte Ansicht
Das zweijährige ergebnisoffene Projekt mit sieben Jugendlichen in der Freizeit «Museums Academy» hat sich für uns nach der «Königsdisziplin» unter den bisher realisierten Teilhabeprojekten angefühlt. Drei Jugendliche haben ihre eigene Ausstellung «facecase» konzipiert und umgesetzt. (Fotos: David Zehnder)

In einem über alle Bereiche hinweg geführten Diskurs, initiiert und umgesetzt von der Kommunikatorin Anja Vogel, entstand deshalb 2020 ein Positionspapier zur Kultur der Teilhabe im Museum für Kommunikation.

Darin manifestieren wir unser Versprechen:
Wir teilen unsere Ressourcen, Wissen und Unwissen und treten damit in Austausch. Wir involvieren Menschen in Prozesse und Bereiche, wo sich wirklich etwas verändern lässt und sie Einfluss nehmen können. Wir gestalten gemeinsam und lassen gestalten. Partizipation ist kein Selbstzweck – wir ermöglichen Beteiligung, dort wo sie ehrlich, umsetzbar und sinnvoll ist.

Und wir orientieren uns an den Leitsätzen:

  • Partizipation ist, wenn etwas verändert werden kann und Einfluss genommen wird. Wir sind offen unsere Strukturen und Herangehensweisen anzupassen und zu verändern.
  • Partizipation ist eine Haltung und Entscheidung. Wir denken Partizipation bereichsübergreifend und vernetzt.
  • Wir stellen echte und relevante Fragen und setzen uns mit tatsächlichen Leerstellen auseinander. Wir sind offen für Bedürfnisse und Initiativen und zeigen dies auch.
  • Wir achten auf Mehrwert für alle Beteiligten; das heisst für die Partizipierenden und die später Rezipierenden sowie für das Museum und seine Mitarbeitenden.
  • Wir beziehen verschiedene Grade der Beteiligung gleichwertig mit ein und anerkennen damit unterschiedliche Bedürfnisse von Nutzenden und Besuchenden.
  • Wir kommunizieren klar, wo die Regeln und Grenzen liegen. Wir machen transparent, was mit Beiträgen geschieht und was das Ziel dahinter ist. Wir machen diese sicht- und nutzbar. Die rechtlichen Aspekte müssen vorgängig geklärt sein.

Wir schauen genau hin, wer Zugang zu unserem Museum hat und vernetzen uns mit Schlüsselpersonen, um neue Zugänge zu schaffen

Nun gilt es also nur noch, diese Haltung immer und überall, von sämtlichen Mitarbeitenden, intern und gegenüber externen Beteiligten zu leben. Es könnte sein, dass Frederick recht behält mit seiner Vermutung, dass dies keine leichte Sache ist.

Wir bleiben in Bewegung und sammeln die nächsten Erfahrungen, Schritt für Schritt – Dialog für Dialog. Gerne teilen wir das dann wieder mit allen Interessierten.

Unsere Leitsätze

Auf dem Weg zu unseren Leitsätzen hat die Kommunikatorin Anja Vogel ihre Recherchen und Erkenntnisse in dieser Übersicht dargestellt. Internes Arbeitspapier von 2020. Von unten nach oben zu lesen.

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Autor

Gallus Staubli, Leiter Bildung & Vermittlung

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