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Nichts als die Wahrheit - Ein Rückblick

Kurator Kurt Stadelmann erklärt, wie «NICHTS» wie aus dem nichts entstehen konnte. Ein Blick hinter die Kulissen einer ungewöhnlichen Ausstellung. Willkommen in der Nichts-Welt!

Mein Arbeitskollegium hat mir öfters zu verstehen gegeben, dass ich aus nichts etwas machen könne. Mal als Lob, mal als Tadel. (S)Tadel-Mann nahm es gelassen und beharrte auf seiner Meinung: Einfach loslegen und machen, denn von nichts kommt gar nichts. Dass aus nichts tatsächlich einmal «NICHTS» entstehen sollte, das lag weit entfernt da draussen im unendlichen Universum und leuchtete ab und an als Stern auf. Dann nämlich, wenn ich zusammen mit «mitfühlenden» Menschen scheinbar Unmögliches, Nichtiges verhandeln konnte.

In diesen Stunden war der Himmel ein Meer aus Sternen, die klar leuchteten, aber nicht zu greifen waren. Am anderen Tag dann war das Himmelszelt meist wieder verdeckt vom Nebel.

Ein erstes Mal leuchteten die Sterne, als Beat Gugger mir von seiner Kofferausstellung berichtete.

Da war zu Beginn ein Koffer, gefüllt mit Objekten, die jedes für eine Geschichte stand. Da stand ein Koffer am Schwedenplatz in Wien und dahinter eine Gestalt, die als moderner Rattenfänger durch Europa tingelte. Der Koffer wurde geöffnet und dem noch etwas scheuen Publikum vor Ort eine erste Geschichte preisgegeben. Gugger leerte seinen Koffer mit seinen Geschichten und am Schluss war nichts mehr drin, dafür viel mehr als nichts in den Köpfen der lauschenden Passanten.

Ein weiteres Mal leuchtete es aus dem Universum, als (wiederum) Beat Gugger mit glänzenden Augen eine vergangene Performance schilderte, die mich persönlich weiter brachte in Sachen Nichts. Im Oberaargauischen standen grosse Hallen leer. Diese Raumleere animierte zu Geschichten um nicht mehr existente Objekte.

Konkret ging das so:

Winnu, der Gehülfe von Gugger, zeichnet als erstes mit einer Kalkmaschine (wie sie für das Zeichnen von Linien für Fussballfelder benutzt wird) ein grosses Rechteck auf den Betonboden im leeren Raum. Darin stund einst die Druckmaschine Bauart 5JBA. Die Gruppe von Interessierten steht so dann um die virtuelle Maschine rum und lauscht dem Chefkurator, der einen Heidenspass an den Tag legt mit seiner realen Geschichte. Alles andere als Nichts entsteht in den Köpfen der Besucher, auch wenn da nichts zu sehen ist im leeren Raum. Auch dann nicht, als Winnu zuguterletzt seine Kalkzeichnung mit einem Besen feinsäuberlich zusammenwischt. Ausser NICHTS ist nichts und bleibt nichts (mehr) anwesend!

Durch ein dunkles Kartonrohr sieht man auf eine helle Fläche, auf der schwach "Nichts" zu entziffern ist. - vergrösserte Ansicht
Nichts zeigt sich oft und ist dennoch schwer zu packen.

Nun war ich im Stande, eine Antwort auf jene Frage zu geben, die in einem Workshop für Museumsnerds einmal als Vorlage für die Aufwärmrunde diente.

Die Frage lautete: «Wie stellt man Leere aus?»

Meine Antwort: «In dem man Leere nicht ‹gestaltet›, also nur dem, was schon im Raum vorhanden ist, einen Raum für Leere verschafft, in dem Leere stattfinden kann.»

Als ich mich noch mit der Leere abmühte, keimte indes im Untergrund das NICHTS.

Die Geschichte um Nichts begann für mich also vor gut zehn Jahren. Ich versuchte damals auf den oben erwähnten Vorgeschichten rund um Gugger eine Idee für eine Ausstellung um Nichts zu erdenken. Ich schlug das Thema in der Expertenrunde des Museums vor und kam nicht durch. Bedenken an Bedenken, weil nichts Konkretes etc., usw. Vergessen also und erst einmal vorbei! Und wenn ich heute das «Vergessene» rumerzähle und sogar die Medien meine Geschichte zitieren, so glaubt mir das niemand mehr im Museum. Das sei eine schönfärberische Vergangenheitsbewältigung des abtretenden Chefkurators, meinte beispielsweise des Chefkurators Chefin, als sie mich neulich darauf ansprach. Se non è vero, è ben trovato! Ha! Dann soll dem Kurzzeitgedächtnis nun etwas entgegengehalten werden.

Nichts als die Wahrheit ab jetzt beim kurzen Rückblick auf die Entstehung von NICHTS!

Die zündende Idee und den Entschluss, Nichts erneut zu versuchen, hatten Sibylle Heiniger und ich. Nichts sollte als Performance mit lebenden Akteuren (wie in der Vorgängerausstellung SUPER. Die zweite Schöpfung) im Museum umgesetzt werden. So steht es im «Antrag», der die Expertenrunde diesmal einstimmig überzeugen konnte und als Vorschlag in die Geschäftsleitung ging. Das Museum liess sich auf Nichts ein. Wenn ich heute zurückblicke, geht mir ein Bonmot durch den Kopf: Se non è vero, è ben trovato!

Es ist dann letztlich leicht anders gekommen, aber Sibylle hat bis zum Schluss mitgezogen und das Team um mich hat nie auch nur einen Moment an der Durchführung gezweifelt. Es war ansteckend, wie wir an die Sache gingen, und das Museum hat als Ganzes auch mitgetragen. Hauptprobe für Grob- und Detailkonzept bestanden wir und gingen ran an die Ausführungsarbeiten, die einige noch unklar waren, wie es denn ein gutes Ende nehmen könnte. Dass das Ende ein gutes Ende nahm, lag u.a. auch daran, dass ich mich viel mit meinem Umfeld zum Thema Nichts einlassen durfte. Denn, als klar war, dass wir Nichts machen, wurde ich immer wieder gefragt, wie ich denn Nichts ausstellen könne? Ich sagte einmal spontan darauf: «Indem ich Nichts ausstelle.» Und provokativ gab ich eines drauf: «So einfach ist das!»

Eine dunkle Wand, davor ein dunkelroter Vorhang, der von einer Hand zur Seite geschoben wird. - vergrösserte Ansicht
NICHTS ausstellen, wie macht man das?

Und dann gings jeweils los.

Nichts sei ja nix. Wie denn nix ausstellen? Leerer Raum, weisse Wände oder die andere Nichts-Farbe schwarz verwenden?

«Das haben viele aus dem Kunstbereich bereits getan. Dann lieber Stille ausstellen,» sagte ich. «Ist mir persönlich schon gelungen nach Meinung des Publikums. Stille gibt es auf dieser Welt aber nicht, denn Stille ist immer auch akustisch untermalt.»

«Aha, deshalb stellst du nun Nichts aus, weil, wenn etwas nicht da ist, stellt man das aus, was da ist?»

«Etwa so, genau. Wenn etwas nicht da ist, ist es trotzdem da, weil es durch eine Umgebung, die unbedingt da sein muss, definiert wird. Wenn nichts da wäre, dann könnten wir sagen: ‹Da ist nichts. Da ist ein schwarzes Loch, das von nichts umgeben ist.› Aber das ist bloss eine Ausflucht oder in zu engen Dimensionen gedacht. Reduzieren wir das unendlich grosse schwarze Loch auf ein Loch im Emmentalerkäse, so verstehen wir Tucholskys ‹Psychologie der Löcher›, also seine Nichts-Theorie besser.»

Tucholsky: «Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt.
Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs … festlig?»

(Zitiert aus: Zur soziologischen Psychologie der Löcher. Kaspar Hauser; Die Weltbühne, 17.03.1931, Nr. 11, S. 389)

 

Das Loch hat uns den Weg gewiesen, immer wieder, auch dann, wenn wir drohten, in ein Loch zu fallen. Wir mussten letztlich nur so weit kommen und NICHTS als das definieren, was es ist: nämlich Etwas und nicht Nichts! Nichts ist nämlich alltäglich, uns sehr vertraut, obwohl die meisten sich unter NICHTS nichts vorstellen (können).

Als wir den Dreh raushatten, war nichts einfacher als Nichts!

Auf einem Tisch steht ein kleines Glasfläschchen mit Staub drin. Daran hängt ein Zettel mit dem Eigentümer des Staubs: Emil Steinberger.
Etwas Strand mit einem kleinen roten Rettungsbot und einer Möwe. Dahinter das Meer und grauer Himmel.
Eine leere Glasvitrine, darüber die verwitterte Schrift "Souvenirs".

Nichts gibt es eigentlich nicht. Nichts existiert bloss in unseren Köpfen. Wenn wir nichts sagen, meinen wir meistens ETWAS, etwas, das wir einfach (noch) nicht kennen, wovor wir Angst oder keine Ahnung haben, etwas, das wir nicht mit unseren Augen sehen oder mit unseren Sinnen nicht spüren können. Nichts aber kann gar nicht sein, weil immer etwas da sein muss, das Nichts letztlich definiert (siehe Tucholsky).
So ist es letztlich ein Leichtes, NICHTS auszustellen. Das «Problem» ist dann nur noch, auf welche Bereiche unseres Lebens wir den Blickwinkel richten. Wir haben voll und ganz auf den Alltag gesetzt und nicht auf philosophische oder weltanschauliche Fragen.

Ich habe dann selber auch versucht, das zukünftige Publikum auf die NICHTS-Ausstellung einzustimmen:

«Stellen Sie sich vor, sie bewegen sich auf ein Loch zu, in das Sie fallen werden, wenn Sie sich an nichts halten können. Also halten Sie sich an Nichts! In etwa so müssen Sie sich einen Rundgang durch NICHTS vorstellen. Sie werden sich amüsieren, wenn Sie sich auf Nichts einlassen. Also: Auf ins NICHTS – nichts wie hin. Wer nichts wagt, gewinnt nichts.»

Das liest sich auf den ersten Blick vielleicht als Wortspielerei. Aber ich mein(t)e das ernst: Wer sich auf Nichts einlässt, gewinnt Fülle. Wer Leerstellen erkennt, schärft seine Wahrnehmung für die Umrandungen. Wer klarer sieht, erträgt besser das Unscharfe, das uns doch im Alltag mehr als wir wollen, umstellt. Und mit dem wir meist locker umgehen, damit wir nicht hibbelig werden. Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss.

Zum Glück also gibts Nichts zwischen so viel Etwas!

Und ich kann die mir oft gestellte Frage, ob «eine Ausstellung mit dem Thema Nichts mehr bringen könne als nichts?» nun getrost beantworten mit: «Wenn es um Nichts geht, dann geht es um nichts weniger als viel.»

Autor

Kurt Stadelmann, Ausstellungskurator, Museum für Kommunikation, Bern

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