Museen in Japan
Was tut sich in anderen Museen – zum Beispiel in Japan? Unser Marketingleiter nutzt einen längeren Urlaub für eine Reise durch das Land der aufgehenden Sonne und lässt sich von der Museumswelt vor Ort begeistern. Fünf Museen haben ihn besonders inspiriert.
Zehn Jahre. Wow, das hätte ich selbst nie gedacht. Zehn Jahre arbeite ich bereits im Museum für Kommunikation. Über 20 Ausstellungen, eine Gesamterneuerung, ein Museumspreis des Europarates, fast eine Million Besuchende. Und trotzdem, langweilig ist es nie – dazu dreht sich diese Welt zu schnell. Immer wieder neue Themen, Ideen und Aufgaben. Allerdings auch wenig Pausen. In meinem persönlichen Jubiläumsjahr gönne ich mir nun einen grösseren Unterbruch, Zeit für eine grosse Reise mit meiner Familie. Ganz ohne Museum.
Doch natürlich taucht das Thema «Museum» bald wieder auf. Unsere Reise führt uns nach Japan – ein Land mit 4’000 Museen! Nur einen Bruchteil davon habe ich gesehen. Eine mehr oder weniger zufällige Auswahl, ohne Anspruch auf Repräsentativität. Und trotzdem bin ich beeindruckt von der hohen Qualität der Ausstellungen. Selbst etwas abseits der touristischen Wege, finde ich durchdachte und interessante Museumsarbeit und stosse nur sehr selten auf trockene klassische Museologie.
Was hingegen sehr anders ist – die Museen scheinen allgemein wenig kritisch zu sein. Oft finde ich eine begeistert technische Herangehensweise. Man feiert Erfolge und lässt die unangenehmen Themen eher weg.
Die Diskussion auf der Metaebene, verschiedene Blickwinkel und auch die kritische Reflexion – bei uns eine Selbstverständlichkeit, in Japan finde ich das nicht. Wir können manchmal fast nicht ohne – sie offenbar lieber nicht «mit». Kulturell geprägt pflegen wir offensichtlich ganz andere Narrative. In den Museen, die ich besucht habe, spielen zum Beispiel auch persönliche Geschichten keine Rolle (ausser im Peace Memorial Museum).
Ein kurzer Blick in fünf Museen, die mich inspiriert haben.
Miraikan, Tokyo
Interaktiv, hands-on und alltagsnah – dieses Museum erinnert mich unweigerlich ans Museum für Kommunikation. Nur dass hier alles ein bisschen grösser ist! Die Themen Alter, Umwelt und Robotik finden hier gleichzeitig statt, während wir sie über mehrere Jahre verteilt bearbeitet haben (Dialog mit der Zeit, 2015 / Planetopia, 2022 / SUPER - die zweite Schöpfung, 2020). Meine Kinder fühlen sich sofort zu Hause.
Was mich beeindruckt: Der Mut zur Lücke. In einem riesigen Raum finden wir nichts weiter als eine riesige digitale Weltkugel, die von der Decke hängt. Die mächtige Kugel ist bedeckt mit unzähligen Bildschirmen. Sie zeigen die Erde aus Satellitenperspektive: Kontinente, Ozeane und vorbeiziehende Wolkenbänder, alles dreht sich als Animation langsam um die Achse zwischen den Polen. Darunter liegen die Besuchenden auf Liegebetten. Kein Spektakel, ein Raum für Ruhe und Kontemplation. Mir gefällt das, weil wir die Tendenz haben, alles zu füllen – möglicherweise zu überfüllen. Hier findet man einfach Raum zum Entspannen, ohne Inhalt, den generieren meine Gedanken ganz alleine. Das braucht Mut.
Ebenfalls mutig ist die Ausstellung über Quantencomputer. Da haben sie sich an ein unglaublich komplexes Thema gewagt. Leider ohne Erfolg, die englischen Übersetzungen lassen mich ziemlich ratlos zurück. Bleibt zu hoffen, dass die japanischen Originaltexte etwas detaillierter vermitteln wie das mit den Quanten nun tatsächlich funktioniert.
Cup Noodle Museum, Osaka
Ein Firmenmuseum in den Vororten von Osaka, kostenlos. Sollte man da skeptisch sein? Wir nehmen den Weg trotz brütend heissen 35 Grad Celsius auf uns. Und siehe da, wir werden positiv überrascht: Hinter einem banalen Alltagsobjekt entfaltet sich eine Geschichte mit ungeahnter Tiefe. Das kleine Museum zieht uns in den Bann mit den Erzählungen zum Erfinder der Instantnudeln, Ando Momofuku, und seine geniale Erfindung, die wir heute als Selbstverständlichkeit betrachten.
Doch damals waren sie eine Revolution: eine einfache Mahlzeit, lange haltbar, zugänglich für alle (auch für die mit sehr wenig Zeit und Geld) und direkt geliefert mit dem Essgeschirr dazu.
Was dieses Museum auch ganz deutlich vermittelt: Die grosse Begeisterung des Publikums dafür, selbst etwas machen zu können. Die Hälfte des Museums ist ein Raum, in dem alle Besuchenden ihre persönliche Cup Noodle-Packung gestalten und abfüllen können. Die Begeisterung der Gäste kennt keine Grenzen. 200-300 Menschen stehen hier Schlange, um anschliessend mit einem personalisierten kleinen Geschenk nach Hause zu gehen.
Was ich für mich mitnehme: Inhalt ist toll. Aber die Menschen wollen vor allem selbst etwas tun können - und sie nehmen gerne etwas aus dieser Interaktion nach Hause. Manchmal vergesse ich, wie einfach die Dinge sein können.
Chichu Art Museum, Naoshima
Die kleine Insel Naoshima im Japanischen Binnenmeer, wurde dank diversen Kunstinterventionen von der Abwanderung bewahrt. Heute besuchen sie viele kunstaffine Tourist:innen und kurven mit Mietvelos über die ruhigen Landstrassen zwischen Art-Spaces und Badestränden.
Plötzlich stehen am Strassenrand in einer Einfahrt zwei Dutzend Menschen. Fast könnte man das Chichu Art Museum übersehen, denn es fügt sich vollständig ins üppige Grün der Insel, nur eine eher unscheinbare Einfahrt ist zu sehen. Mit ihrem Spiel von Museumsbau und Natur ist dann aber bereits die Architektur von Tadao Andō ein Spektakel. Drinnen gibt es genau acht Kunstwerke zu sehen – vier von Claude Monet, drei von James Turrell eines von Walter De Maria. Mehr nicht.
Und es geschieht etwas Erstaunliches: Diese Werke wirken viel stärker! Man lässt sich Zeit, taucht richtig ein und geniesst diese Wirkung. Falls es noch Zweifel gab, dann ist dieses Museum der Beweis. Bei der richtigen Qualität ist weniger eindeutig mehr. Und: Es kann nicht schaden, wenn das Museumscafé einen grossartigen Ausblick (über das Binnenmeer) bietet.
Toy Art Museum, Fukuoka
Unsere Kinder sind erst mal mässig begeistert von der Idee, ein Spielzeugmuseum zu besuchen. Wir überwinden die Lethargie und machen uns trotzdem auf den Weg. Der Eintrittspreis ist für japanische Verhältnisse ziemlich hoch – und nun beginne auch ich zu zweifeln. Erst recht als wir anfangs auf klassische Spielzeuge wie Kugelbahnen und Holz-Bobby-Cars treffen. Doch im Verlauf des Besuchs ändert sich dieser Eindruck schnell. Dieses Museum ist jeden Yen wert, den wir am Eingang bezahlt haben. Auch die Kinder legen ihre Skepsis schnell ab und tauchen so vergnügt in diese Spielwelt ein, dass wir sie am Ende kaum noch rausbringen.
Im Kern bietet das Toy Art Museum eine Vielzahl von liebevollen interaktiven Holzspielstationen, begleitet von zahlreichen Museumsmitarbeitenden (eine Art Kommunikator:innen), die immer gerne mit den Besuchenden interagieren.
Man kann Gemüse ernten, am Markstand einkaufen, Sushi-Plättchen zusammenstellen oder die Bentobox füllen. Alle Gegenstände sind aus Holz gefertigt und lassen viele Kombinationsmöglichkeiten zu. Als Sushi-Koch und Holzwurmfängerin sind unsere Kinder kaum mehr zu bremsen. Und auch ich lasse mich anstecken von der Spielfreude.
«Play slow feeds children’s imagination and creativity» steht da ins Holz graviert – und der Blick auf die Kinder ringsum bestätigt diese Aussage. Die Begeisterung für Hands-on ist hier in jedem Winkel zu spüren.
teamLab Planets, Tokyo
Um gewisse Nennungen kommt man einfach nicht herum, auch wenn sie nicht mehr neu sind. teamLab ist und bleibt ausserordentlich sehenswert. Kunstvoll verschmelzen hier digital und analog zu einem beeindruckenden immersiven Erlebnis.
Es gibt mittlerweile zahlreiche verschiedene Ausstellungen von teamLab. Ihnen gemeinsam ist die Verbindung von Natur und Technik zu kunstvollen Welten. teamLab Planets in Tokyo ist ein sensorischer Rundgang durch Räume, die einem begehbaren Kunstwerk nahe kommen. Ein faszinierendes Spiel aus farbigen Projektionen, Landschaften aus einer anderen Welt, durch die man wandeln kann. Manchmal mehr Spielplatz, manchmal mehr Kunstwerk – aber immer so faszinierend, dass es alle Besuchenden in den Bann schlägt.
teamLab, das ist ein Höhepunkt an Immersion, den man sich unbedingt einmal ansehen muss. Eine Inspiration, die man gerne in der einen oder anderen Form mitnehmen möchte für die nächsten Projekte.
Und – nein, die Weltausstellung in Osaka hat es nicht in diese Liste geschafft, trotz einem faszinierenden Areal. Mir bleibt vor allem sehr viel Schlange stehen in Erinnerung (bei 38 Grad im Schatten).
Einmal mehr wird klar: Der Dreh- und Angelpunkt ist die Balance der Erwartungen. Viele Museen können mich überraschen, weil ich ohne Vorwissen eintauche. Wo die Erwartungen schon im Vorfeld hoch sind, klappt es nur, wenn das Erlebnis dann auch vollends überzeugt (teamLab). Noch etwas Denknahrung für den Marketingmenschen in mir!
Autor
Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation