Mit künstlicher Intelligenz und menschlicher Tiefe
Kann ein Museum persönlich sein? Wir zeigen, wie das geht. Mit unseren Kommunikator:innen bringen wir im Museum für Kommunikation nicht nur den menschlichen Dialog in die Ausstellung, wir schaffen auch ganz persönliche Erlebnisse, die hängen bleiben. Ein Blick in den Werkzeugkoffer der Kommunikator:innen zeigt, mit welchen Geheimzutaten die Emotionen ins Museum kommen.
Ich, die Glasscheibe und die Texttafel. In meiner Kindheit war ein Museumsbesuch ein Erlebnis auf Distanz. In gebotener Ernsthaftigkeit, mit sachlichem Abstand zum Objekt und überlangen Texten wurde mir die Welt nähergebracht. Seither hat sich vieles verändert. Zum Glück! Die Museen lassen sich immer mehr auf die Besuchenden ein. Mit ihren Bedürfnissen bestimmen die Gäste das Angebot mit und damit wird plötzlich auch ein Dialog auf Augenhöhe möglich. Denn nicht nur die Menschen lernen im Museum – das Museum lernt auch von den Menschen. Oder wie es bei uns im Museum für Kommunikation heisst: Wie sollen sich die Menschen für das Museum interessieren, wenn sich das Museum nicht für die Menschen interessiert?
Vor diesem Hintergrund haben wir 2017 die Kommunikator:innen eingeführt. Sie sind tagtäglich in der Ausstellung unterwegs und bringen als Gastgebende eine schweizweit einmalige Komponente ins Museum: persönliche Begegnungen! Dank ihnen wird der Museumsbesuch zu einer lebendigen Begegnung. Damit solche Erlebnisse gelingen, denken sich die Kommunikator:innen immer wieder neue Spiele, Aktivitäten und Ideen aus. Wir blicken in ihren sagenumwobenen Werkzeugkasten und zeigen an fünf besonders schönen Beispielen, wie das funktioniert.
Lex Planetopia – Demokratie live
Von wegen Gesetze sind langweilig. Mit dieser Idee wird Paragrafenreiten zu einem wilden Ritt! Es ist Frühling 2023 und die Schweiz diskutiert gerade sehr intensiv über das CO2-Gesetz, das zur Abstimmung steht. Passend dazu läuft bei uns im Museum die Ausstellung Planetopia – Raum für Weltwandel. Das bringt die Kommunikator:innen auf die Idee von Lex Planetopia. Schnell entwickeln sie Gesetzesideen – im Museumsteam oder gemeinsam mit den Besuchenden. Sie bestehen immer aus einem Fact und einem Lösungsansatz. Und sie sind teilweise bewusst provokativ, um Diskussionen in Gang zu bringen. Es sind die Besuchenden, die dann jeweils über drei Gesetze abstimmen können. Bereits an der Kasse erhalten sie einen Ball und haben es damit in der Hand: Welchem Gesetz gebe ich meine Stimme?
Egal ob Bergführer, Schülerin, Bauarbeiter oder Permakultur-Anhängerin. Die Besuchenden erzählen aus ihrem Leben, äussern Meinungen und «outen» ihre Expertise. Es wird diskutiert, gelacht, ausgehandelt. Die teilweise sehr emotionalen Diskussionen drehen sich um die Gesetze, aber auch darum, ob und in welcher Form es Gesetze braucht (und wer überhaupt darüber abstimmen darf).
Die Aktivität ist aufwändig, denn es müssen immer wieder neue Gesetze entworfen werden. Doch das wird bei weitem kompensiert durch die intensiven, tiefschürfenden Gespräche mit den Besuchenden. Das Interesse ist gross, unsere Gäste bringen sich ein und hinterlassen ihre Spuren. Und offensichtlich hinterlässt die Aktivität auch Spuren bei ihnen: Viele kommen später zurück. Sie wollen sehen, ob ein Gesetz bereits angenommen wurde und ob neue Gesetze zur Abstimmung stehen.
KI versus KA
Neue Technologien lösen bei den Einen Euphorie aus, bei den Anderen Ängste. Umso wichtiger ist es, einen unverkrampften Zugang dazu zu finden. Wie zum Beispiel bei der künstlichen Intelligenz, kurz KI. Was kommt da auf uns zu? Während einige eine goldene KI-Zukunft zeichnen, löst diese potente Technologie bei vielen enorme Unsicherheiten aus. Damit sich alle an das Thema heranwagen, haben sich die Kommunikator:innen in der Ausstellung (kurz KA) ein kleines Duell ausgedacht: KI versus KA!
Auf einem Spielfeld treten KI und KA als Figuren gegeneinander an. Wer schlägt einen Purzelbaum? Ein klarer Punkt für KA. Welche Frage kann eine KI besser beantworten? Und wo vertraue ich mehr auf die Stärken der Menschen (den KA)? Eine Playlist zusammenstellen, eine Übersetzung in eine Fremdsprache, die Beratung für ein Produkt, einen Geheimtipp geben, ein Gerichtsurteil fällen, den Klimawandel lösen… Auf dieser konkreten Ebene wird das komplexe Thema plötzlich sehr greifbar. Schnell wird klar, dass die KI längst nicht überall überlegen ist und man erhält ein Gefühl für die Stärken von Menschen und Maschinen. Doch natürlich haben nicht alle dieselbe Meinung. Zum Glück, das wäre ja langweilig. Die Diskussion ist eröffnet, KAs und Besuchende mitten im Thema drin. Manchmal braucht es gar nicht viel.
Praxis für digitales Wohlbefinden
An einem Tag im September 2024 gibt es im Museum gleich an der Réception ein Terminangebot: «Möchten Sie unsere Praxis für digitales Wohlbefinden testen?» Wer sich auf das Angebot einlässt, erhält ein persönliches und durchaus humorvolles Beratungsgespräch zur eigenen Bildschirmzeit und Handyaktivierung. In einem offiziell anmutenden Bürosetting analysieren Kommunikator:innen im Arztkittel die Handynutzung der Besuchenden. Wie viel Zeit verbringen Sie am Bildschirm? Wie oft entsperren Sie das Gerät täglich? Was kann gelöscht werden? Der humorvolle Einstieg ist ein guter Türöffner, die Gespräche drehen sich dann aber schnell um reale Herausforderungen mit unseren digitalen Parallel-Ichs.
Je nach Verlauf des Gesprächs werden entweder die Geräte von Datenmüll befreit (der braucht Strom, weil er auf irgendeinem Server gespeichert ist) oder der Person wird eine kurze Detox empfohlen. Sie darf dann das Gerät für eine Stunde in der Praxis für digitales Wohlbefinden deponieren und wird mit einem farbigen Punkt markiert. Unterwegs in der Ausstellung sprechen die Kommunikator:innen diese Besuchenden an: «Sie haben eine Push-Nachricht erhalten!» Das ist der Ausgangspunkt für eine weitere kleine Aktivität mit dem Museumsteam. Die Kommunikator:innen erstellen mit ihnen Memes zu historischen Fotos aus unserer Sammlung, überprüfen das Wetter live auf der Dachterrasse oder entschieden im Tinder-Stil, welche neuen Objekte in die Sammlung aufgenommen werden sollen. Analog-digital – spielerisch verknüpfen sich so die Geschichten der Besuchenden mit den Themen und Objekten des Museums. Für einmal ohne Smartphone.
Boxkampf der Lügen
Je nach zählweise schwanken die Angaben zwischen durchschnittlich zwei- und 200mal am Tag. Klar ist jedenfalls: Lügen gehört zum Leben und es ist – trotz dem eher mangelhaften Ruf – eine Sozialkompetenz. Denn Lügen sind nicht nur böswillig, sie dienen auch dem Selbstschutz («Wie geht es dir heute?») oder vermeiden unnötige Verletzungen («Wie gefällt dir mein Geschenk?»). Lügen ist Teil unseres kommunikativen Repertoires – und kommt deshalb natürlich auch im Museum für Kommunikation aufs Tapet.
Also: Boxhandschuhe auf und rein in den Boxkampf der Lügen! Zwei Besuchende stehen sich auf unserem roten Teppich mit Boxhandschuhen an den Händen und mehreren Schritten Abstand gegenüber. Die Fäuste kommen hier nicht zum Einsatz – es geht darum das Gegenüber zu täuschen. Ist die Aussage der Gegenspielerin wahr oder eine Lüge? Wer es richtig errät, kommt einen Schritt voran. Mit guten Geschichten, gewiefter Kommunikation und viel Pokerface kommt man in die Zone des Gegenübers und kann diese(n) mit einer letzten geschickten Lüge aus dem Ring befördern. Wie kommt man schneller zum Ziel – mit aalglatten Lügen oder schlichten Wahrheiten? Kann ich souverän lügen, wenn ich vom Spielfeldrand angefeuert werde? Egal ob gewonnen oder verloren, die Diskussion über Wahrheit und Lügen ist lanciert. Und wer noch mehr wissen will, vertieft sich im entsprechenden Bereich unserer Ausstellung.
Lego als Türöffner
Die meisten haben als Kind mit Lego gespielt. Doch was viele nicht wissen: Lego ist auch im Erwachsenenalter ein hilfreiches Ausdrucksmittel! Zwei unserer Kommunikator:innen sind deshalb in der «Lego Serious Play®»-Methode geschult. Dabei werden Kindheitserinnerungen und Spielfreude als einfacher Einstieg verwendet, um neue Ideen zu entwickeln.
Wie so oft bei uns ist der verspielte Zugang ein dankbarer Einstieg. Er bringt Fremde zusammen und erstaunlich schnell entwickeln sich tiefergehende Gespräche. Zusammengewürfelte Gruppen arbeiten parallel an ihren Lego-Werken, erklären einander ihre Bauwerke und verabschieden sich danach vertraut und herzlich. Ein Baukonstrukt eines Jugendlichen ist ein «Mutter-Gute-Laune-Game-Abschirm-Gerät». Und plötzlich tauschen sich die Eltern aus über Familienkonferenzen und Erziehung. Ein Kind baut ein Schulzimmer und kommentiert: «Nicht mehr streiten mit den Mädchen in meiner Klasse». Die Kommunikatorin übersetzt für einen französischsprechenden Mann am Tisch – er meint: «Ich habe den Streit sofort an den roten Lego-Steinen erkannt!» Kommunikation ohne Worte.
An einem anderen Tag baut ein Junge einen Roboter, der ihm helfen soll mit Mobbing umzugehen. Er erklärt detailliert das ausgeklügelte System, mit dem der Roboter arbeitet (die ganze Geschichte ist hier nachzulesen). Der Vater unterstützt seinen Sohn und ermutigt ihn, mehr zu erzählen. Gegen Ende schlägt er vor, ein Foto vom Modell zu machen. Als Erinnerung. Solche Dialoge gehen auch bei den Kommunikator:innen tief. In wenigen Minuten tauchen sie in die ungeahnte Realität dieses Jungen, werden sich sehr bewusst, was er durchmacht. Unser Kommunikator wünscht ihm alles Gute und viel Kraft. Es sind gerade diese Momente des Teilens und Austauschs im Museum, welche den Job der Kommunikator:innen sind so wertvoll und einzigartig machen.
Das ist ein kleiner Ausschnitt aus dem wunderbar vielseitigen Repertoire unserer Kommunikator:innen, das täglich erweitert wird. Dabei sollte man aber nicht vergessen, das Wichtigste ist nicht die gute Idee. Die Geheimzutat, die nie fehlen darf: Offen sein für den Moment! Offen für das, was die Besuchenden mitbringen – für Spiele, die sie selbst starten, für eine Frage zwischen den Zeilen oder ein lautes Lachen, das die Tür zu einer Interaktion öffnet. Wer nicht offen ist, um auf die Menschen einzugehen, verpasst die besten Gelegenheiten für ein nachhaltiges Erlebnis.
Autor
Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation, Museum für Kommunikation, Bern
Mit Unterstützung von Anja Vogel und weiteren kreativen Kommunikator:innen