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In die Falle getappt: Von U-Booten und Ostereiern

Ich habe ein Herz für die kleinen Absurditäten des Lebens. Tippfehler auf Strassenschildern, witzige Graffiti, lustige Gesprächsfetzen im Tram sind für mich das Salz in der alltäglichen Suppe. In diesem Beitrag möchte ich über eine Entdeckung einer solchen Kuriosität berichten, die ich während der Vorbereitungen zu NICHTS gemacht habe. Es geht um die U-Boote, Grubenhunde und Trapstreets.

Man kann sein Leben sehr gut leben, ohne zu wissen, was sich hinter diesen Namen verbirgt. Aber seit ich sie kenne, freue ich mich darüber, dass auch in Nachschlagewerken, Zeitungen und auf Karten hin und wieder eine kleine Albernheit zu finden ist.

Eines Morgens kommt mein Kollege Kurt Stadelmann an meinen Schreibtisch, der in der hauseigenen Bibliothek des Museums steht. Schnurstracks zückt er das Historische Lexikon der Schweiz und sagt mir: «Kennst du die Marie-Thérèse Zündapp? Ich glaube, die gefällt dir!» Er schlägt Band 13 (Vio-Zyr, Deutsche Ausgabe von 2014) auf und beginnt, mir vorzulesen. Begeistert höre ich die Geschichte einer aufmüpfigen Hebamme, die erst wegen aufrührerischer Tätigkeiten von der Schule flog und später eine herausragende Vertreterin des motorisierten Feminismus der 1970er war und bei einem Töffunfall ums Leben kam. Noch nie hatte ich von dieser Dame gehört, noch nie hatte ich vom Feminismus auf dem Motorrad erfahren – meine Neugier war geweckt. Allerdings endete die Entdeckungsreise schnell. Mit einem breiten Grinsen sagt Kurt: «Tja, wäre schon schön, wenn es die Zündapp geben würde, oder?»

In meinem Kopf bretterte schon meine neue Heldin durch die Schweiz und lehnte sich gegen den patriarchalen Mief auf – und dann erfahre ich, dass es nie eine Marie-Thérèse Zündapp gab! Ich bin auf einen Nihil-Artikel, einen erfundenen Lexikoneintrag, hereingefallen. Ein Grund dafür war sicher, dass diese Geschichte meinen Geschmack trifft: Ich mag einfach Geschichten von Frauen, die sich NICHTS gefallen lassen. Der zweite Grund waren aber auch meine Erwartungen an das Historische Lexikon. Dort steht nur geprüfte und gesicherte Information drin, es ist eines der wichtigsten Nachschlagewerke für meine Arbeit. Und damit es gleich gesagt ist: Das Historische Lexikon ist trotz eines U-Boots, so nennt man Fakes auch, eine sehr seriöse Adresse für Geschichtswissen von Steinzeit bis Heidi.

Vor rot-violettem Hintergrund mit den Buchstaben M I R T S V ist eine Frau mit Motorradhelm zu sehen. Entschlossen blickt sie in die Kamera. - vergrösserte Ansicht
KI-generiertes Porträt von Marie-Therese Zündapp auf Basis des Lexikonartikels.

Es ist nicht schwierig herauszufinden, wie die erfundene, aber trotzdem inspirierende Marie-Thérèse ins Lexikon kam. Eine unkomplizierte Internet-Suche reicht. 2014 erschien der letzte Band des Historischen Lexikons der Schweiz. Zur Feier des Abschlusses eines Mammutprojekts mit 36'000 veröffentlichten Artikeln in drei Sprachen während 12 Jahren, wurde ein Schreibwettbewerb für fingierte Einträge veranstaltet. Der Hauptpreis war die Veröffentlichung im letzten gedruckten Band. Die Siegerin Tina Maurer hat sich unsere Töffaktivistin ausgedacht und ihre Geschichte in exakt der richtigen Sprache inklusive üblicher Abkürzungen und ebenfalls erfundener Literatur verfasst. Hätte ich mich etwas weniger von meiner feministischen Heldinnenverehrung ablenken lassen, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass «Zündapp» eine bekannte deutsche Motorrad-Marke ist. Auch der ledige Name ihrer Mutter, «Toeph», oder das erfundene Buch «Mofareisen» (vermutlich eng verwandt mit Endo Anacondas «Sofareisen») hätten mich darauf bringen können, dass hier etwas gar viel Töffhumor versteckt ist. Nicht destotrotz hat die Geschichte uns Ausstellungsmacher:innen so gefallen, dass wir sie in einen Audiobeitrag in NICHTS präsentieren – ohne zu verschleiern, dass alles erfunden ist.

Warum macht man sich die Mühe und fälscht einen Lexikoneintrag so gut, dass er erst auf den zweiten Blick oder manchmal gar nicht auffällt? Ein Grund ist sicherlich der intellektuelle Wettstreit – es ist nämlich ziemlich schwierig, für einen Nihil-Artikel den exakten Ton zu treffen und plausibel genug zu sein, um nicht sofort aufzufallen. Umgekehrt ist es auch ein kleines Vergnügen, zu wissen, dass eine Spielerei im Lexikon versteckt ist.

Das wohl bekannteste Beispiel im deutschsprachigen Raum ist die Steinlaus (Petrophaga lorioti). Sie verbirgt sich im Pschyrembel, einem der wichtigsten medizinischen Wörterbücher. Und nein, der Name «Pschyrembel» ist nicht erfunden, sondern stammt vom langjährigen Redaktor des Lexikons mit gleichem Namen. Inmitten von tausenden Krankheitssymptomen und Fotos von Hautausschlägen krabbelt eine Cartoon-Kreatur mit dieser Beschreibung: «Kleinstes einheimisches Nagetier mit einer Größe von 0,3–3 mm aus der Familie der La­pivo­ra (Erstbeschreibung 1983). Bei der Steinlaus handelt es sich um einen ubiquitär vorkommenden, in der Regel apathogenen und stimmungsaufhellenden En­doparasiten.» Wenn sie auf den lateinischen Namen achten, können sie sich vielleicht denken, wer sie sich ausgedacht hat – und zwar in einem Zoologiesketch von 1976. Seither ist die Steinlaus der wohl bekannteste Nihil-Artikel und wird immer wieder gerne von Zoos höchstseriös an das geneigte Publikum vermittelt.

Eine Zeichnung eines kleinen Insekts mit einem ovalen Körper, einem kleinen Schwänzchen, sechs Beinen und einem runden Kopf mit Fühlern. - vergrösserte Ansicht
Screenshot: Die Steinlaus in der 261. Auflage des Pschyrembel. Quelle: Loriot: Möpse und Menschen. Eine Art Biographie. Zürich: Diogenes, 1983.

Es gibt aber noch einige weitere Gründe, absichtliche Unwahrheiten in Drucksachen einzubauen. Auch Mediensoziolog:innen und Journalist:innen haben das gemacht. Besonders in den 1970er- und 1980er- Jahren wurden hin und wieder gern «Grubenhunde», absichtlich gefälschte Zeitungsartikel veröffentlicht. Ziel davon war, nachzuverfolgen, wie eine Information durch verschiedene Blätter und Magazine wandert. Dies geschah einerseits als Test für die journalistische Sorgfältigkeit der Autor:innen, andererseits wiederum als Königsdisziplin des guten Schreibens: Wer einen guten Grubenhund verfasst und ihn seinen Berufskolleg:innen unterjubeln kann, macht seine Sache gut. Diese Praxis gehört klar in eine Zeit, als gedruckte Medien dominierten. Online ist es massiv schwieriger, die Spur eines Grubenhunds in der Masse von Falsch- und Kurzinformationen zu folgen.

Nach den U-Booten und den Grubenhunden schliessen wir unsere Reise durch die Welt der richtig guten Fälschungen dort ab, wo viele Reisen beginnen. Auch auf Karten finden wir Orte, die es gar nicht gibt. Zum Beispiel «Agloe» im Norden des amerikanischen Bundesstaates New York. Fährt man dort hin, gibt es nur einen schönen Teich und ein Schild. Der Ort wurde vom Kartenhersteller als Fälschungssicherung erfunden. In Ländern und Regionen, in denen mehrere Hersteller gedruckte Karten herausgeben, dienen die erfundenen «Papertowns» oder «Trapstreets» als Markenzeichen für einen bestimmten Hersteller. Hier hört der Humor ein bisschen auf: Es geht um Konkurrenzkampf und markierte Karten dienen auch zu militärischen Zwecken. Wertvolle Informationen werden gezielt zurückgehalten oder sogar als strategisches Mittel eingesetzt.

In der Schweiz werden die Karten von Swisstopo gemacht. Hier ist die unglaubliche Genauigkeit die beste Fälschungssicherung. Trotzdem findet man auch auf gedruckten Landeskarten kleine Witze – hier wären wir bei den Ostereiern angelangt. Auf verschiedenen Karten verbergen sich Zeichnungen, die dort eigentlich nicht hingehören. Oft sind diese kleinen Easter Eggs eine Art persönliche Unterschrift der Kartenmacher, früher auch Fälschungsschutz. Sie sind ein kleines Bildchen, das die Informationen auf der Karte intakt lässt und ein kleines Schmunzeln erlauben. Leider gibt es diese Praxis nicht mehr, da die aktuellen Kartenwerke inzwischen digital veröffentlicht werden und die Bilder bei der Neuauflage oft wieder herausgenommen werden. Das letzte bekannte Osterei, ein Murmeltier, wurde 2011 anlässlich einer Pensionierung am Aletschgletscher versteckt. 2019 wurde es wieder entfernt.

Ein Kartenausschnitt aus dem Hochgebirge: viel Felsschraffur und etwas Gletscher. Mitten in der etwas unübersichtlichen Felsschraffur versteckt sich die Figur eines Murmeltiers.
Ein Kartenausschnitt auf dem ein Tal mit einem See und einige Berge zu sehen sind. In den Felsschraffuren der Berge ist eine kleine Figur versteckt - ein Bergsteiger mit Rucksack.
Ein Kartenausschnitt mit hügeliger Landschaft und zwei Seen. Am unteren Ende des Lac de Romeray versteckt sich, kaum sichtbar, ein kleiner Fisch.

Viele dieser etwas geheimen, versteckten Albernheiten nützen nichts oder nicht viel – für mich schaffen sie aber kleine Momente diebischer Freude. Das ist nicht nichts.

Autorin

Alexandra Heini, Ausstellungskuratorin, Museum für Kommunikation, Bern

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