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Hotelpaläste im Alpenland

Während der allgemein als «Belle Époque» bekannten Zeit (ca. 1880-1914) war die Schweiz ein in ganz Europa beliebtes Reiseziel und erlebte einen nie zuvor gesehen Boom in der Tourismusindustrie und im Hotelbau. Reiche Gäste aus dem Ausland verkehrten in neuen Luxushotels der Superlative: den sogenannten «Grandhotels». Diese besonders imposanten und opulenten Prachtbauten, die an die Schlösser der Aristokratie erinnerten, prägten an vielen Orten zunehmend das Landschaftsbild.

Wenn man an «Ferien» denkt, denkt man natürlich auch ans Verreisen. Man will das Bekannte hinter sich lassen und neue Orte kennenlernen. Im Europa des 19. Jahrhunderts – als man noch nicht mit dem Flugzeug für ein paar Wochen nach Bali oder in die Karibik fliegen konnte – waren die Schweizer Alpen das exotische Reiseziel par excellence. Jahrhunderte lang als unheimlich empfunden und weitgehend gemieden, erweckten die Berge im 18. Jahrhundert die Neugier der Naturforscher. Auf Letztere folgten zuerst einzelne abenteuerlustige Reisende und schliesslich im Laufe des 19. Jahrhunderts – als neue Verkehrsrouten und Transportmittel das Reisen erleichterten und den Vorstoss ins Hochgebirge ermöglichten – eine immer breiter werdende Schar an Tourist:innen aus ganz Europa. Die Schweiz wurde zum beliebten Reiseziel und die Alpenwelt öffnete sich dank der rasanten Entwicklung und Verbreitung der Bergbahnen zunehmend der breiten Masse.

Zusammen mit dem Massentourismus kam ein Gebäudetyp auf, den es zuvor in dieser Form praktisch nicht gab: das Hotel. Bis dahin übernachteten Reisende hauptsächlich in Gasthäusern und waren abseits der Städte oder der Hauptverkehrsachsen auf die Gastfreundschaft der Ortansässigen angewiesen, die oft nur bescheidene Unterkünfte anbieten konnten. Eine Reise in die Berge war somit mit viel Mühsal verbunden und verlangte von Reisenden aus höheren sozialen Schichten einiges an Verzicht.

Die ersten Hotels wurden in der Schweiz in den 1830er Jahren erbaut. Sie unterschieden sich architektonisch stark von den umliegenden traditionellen Holzbauten. Ihr klassizistischer Baustil appellierte an das Klassenbewusstsein der ausländischen Tourist:innen, die in der Regel der Oberschicht angehörten. Vor allem Orte an Seeufern oder mit Aussichtslage erfreuten sich grosser Beliebtheit und erlebten in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit. Ortschaften wie Montreux, Luzern, Interlaken oder Locarno entwickelten sich zu Touristenhubs, deren Ortsbild durch die massiven Hotelbauten nachhaltig geprägt wurde. Nach dem durch den Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) verursachten wirtschaftlichen Einbruch nahm der Hotelbau in den 1880ern wieder Schwung auf. Es folgte ein nie zuvor gesehener Hotel- und Tourismusboom, der erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Ende fand.

Historische schwarz-weiss Aufnahme einer unasphaltierten Strasse in städtischem Umfeld. Am linken Strassenrand ist ein grosser Hotelbau zu sehen, im Hintergrund zwei spitze Kirchtürme. - vergrösserte Ansicht
Eines der ersten Grandhotels: das Hotel Schweizerhof in Luzern, 1845 im klassizistischen Stil erbaut. Hier vor dem Umbau des Daches im Neobarockstil im Jahre 1885.
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 4206)
Zwei historische schwarz-weiss Aufnahmen neben einander - beide fast identisch. Über einen Bergrücken mit Menschen auf Sitzbänken und einem angewinkelten Hotelbau geht der Blick auf die verschneiten Hochalpen. - vergrösserte Ansicht
Das 1874 von Davinet erbaute Hotel Schreiber auf der Rigi Kulm. Der angewinkelte Grundriss erlaubte mehr Zimmer mit Panoramablick auf die Berge.
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 1161)

In diesem allgemein als «Belle Époque» bekannten Zeitraum etablierte sich das sogenannte «Grandhotel» als besonderer Hoteltyp. Nach dem Vorbild von Palastgebäuden wie dem Schloss Belvedere in Wien oder dem Trocadéro in Paris gebaut, hoben sich die Grandhotels durch ihre Grösse und ihre Opulenz von herkömmlichen Hotels ab und erinnerten an die Wohnstätten der Aristokratie. Zu ihren architektonischen Merkmalen gehörten Fassaden mit üppigen Verzierungen, hohen Fensteröffnungen und breiten Balkons, aufwendig gestaltete Dächer im Gotik- oder Barockstil und monumentale Treppenanlagen, welche oft den Mittelpunkt des Baus ausmachten. Oft war der Grundriss angewinkelt, um die Aussichtseite aufs bestmögliche auszunutzen. Moderne Personenaufzüge erlaubten ein höheres Bauen (fünf Etagen oder höher).

Eine historische schwarz-weiss Aufnahme einer Strasse mit Menschen in eleganten Kleidern. Im Vordergrund eine Person, die eine Kutsche von Hand zieht, begleitet von einem Hund. Im Hintergrund zwei Pferdekutschen und das grosse Grandhotel Victoria-Jungfrau. - vergrösserte Ansicht
Das Grandhotel Victoria-Jungfrau in Interlaken, nachdem Davinet 1899 die früher separaten Hotels Victoria und Jungfrau durch einen Kuppelbau vereinte.
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 0768)
Historische schwarz-weiss Aufnahme: Zwischen Bäumen hindurch sieht man das Grandhotel Giessbach mit kleinen spitzen Türmchen. Im Hintergrund sind Berge zu sehen. - vergrösserte Ansicht
Das Grand Hotel Giessbach über Brienz nach dem Brand 1883, wiederaufgebaut im «Schweizer Holzstil».
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 1375)

Nicht nur architektonisch glichen diese Luxushotels den alten Schlössern und Palästen der Aristokratie, sondern auch in ihrer sozialen Funktion. Sie waren der Treffpunkt der gesellschaftlichen Elite, wo sich das nun politisch und wirtschaftlich dominierende Bürgertum mit dem alten Europäischen Adel vermischte. Die Grandhotels verkörperten auch den Versuch des Ersteren, den Letzteren in seiner Ästhetik und Lebensweise zu imitieren. Sie waren, sozusagen, die «Schlösser des Grossbürgertums» und ihre Gäste waren «Könige auf Zeit». Nicht selten mit Attributen wie «Royal», «Majestic» oder «Palace» versehen, verriet allein schon der Hotelname diesen hohen Prestigeanspruch. Auch die strikte Trennung zwischen den Gästen und dem Personal, das in der Regel in einem Anbau neben dem Hotel wohnte, erfolgte nach höfischem Vorbild.

Dementsprechend waren die Grandhotels ihrer sozialen Mission nach so ausgelegt, dass sich genügend Gelegenheiten für das Zusammenkommen der Gäste ergaben. Zu den typischen Gesellschaftsräumen gehörten der Speisesaal, der Festsaal (Ball Room), verschiedene Salons und Fumoirs, sowie der Bridge- oder Billardraum. Auch solitäre Aktivitäten wie das Briefeschreiben oder die Lektüre wurden gemeinsam in speziell dafür eingerichteten Räumen verübt. Die wohlhabenden Tourist:innen bezogen in der Regel für mehrere Wochen im Hotel ihr Quartier und verbrachten dort den wesentlichen Teil ihrer Zeit. Das Hotel bot ihnen alle nur erdenklichen Dienstleistungen an, von Essen bis Körperpflege, über musikalische Unterhaltung, sportliche Aktivitäten und organisierte Ausflüge.

Ein historisches schwarz-weiss Foto: Wir blicken aus der Höhe auf einen grossen Hotelkomplex an einem See, im Hintergrund sind hohe Berge zu sehen.
Historische schwarz-weiss Aufnahme: Von einer Strasse geht das weite Tor zum Hotel Beau-Rivage ab. Das mehrgeschossige Gebäude mit markantem Mittelbau und Schweizerfahne auf dem Dach steht vor einem waldigen Berghügel.
Historische schwarz-weiss Aufnahme: An einer Strasse steht ein stolzes Hotelgebäude, davor eine Kutsche. Alles sieht frisch herausgeputzt aus. Auf der Treppe vor dem Hotel stehen einige Männer, auf einem Balkon zwei Frauen.

Da die exklusiven Luxushotels für die Oberschicht auch ein Mittel waren, sich von den übrigen Tourist:innen zu differenzieren und den Kontakt mit der oft in prekären Verhältnissen lebenden Lokalbevölkerung zu meiden, wurden sie gerne an abgelegenen Orten gebaut. Dies war nicht zuletzt auch durch die rapide Entwicklung von Standseil- und Zahnradbahnen im letzten Viertel des 19. Jahrhundert möglich. Die Giessbachbahn, eine der ersten Standseilbahnen der Schweiz, wurde 1879 exklusiv zur Erschliessung des Grandhotel Giessbach gebaut. Von den 60 Seilbahnen, die die Schweiz 1914 zählte, funktionierten ein gutes Dutzend als reine Hotelbahnen, deren einzige Aufgabe es war, Gäste und Gepäck zum abgelegenen Hotel zu befördern.

Historische schwarz-weiss Aufnahme: Über einen Wildbach im Wald führt die Brücke einer Bergbahn. Im Hintergrund ist das Grandhotel Giessbach zu sehen. - vergrösserte Ansicht
Die Giessbachbahn diente ausschliesslich der Erschliessung des Grand Hotel Giessbach (im Hintergrund).
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 1772)
Eine historische schwarz-weiss Aufnahme: Im Vordergrund kleine Bäume und spazierende Menschen, im Hintergrund ein riesiger, schlossähnlicher Hotelbau. - vergrösserte Ansicht
Das Caux Palace Hotel über Montreux. Das Hotel im «Märchenschlossstil» galt an seiner Eröffnung 1902 als das grösste, modernste und luxuriöseste Hotel der Schweiz. Es konnte mit der Zahnradbahn Glion–Rochers-de-Naye-Bahn erreicht werden.
Quelle: Photographisches Atelier Gabler, Museum für Kommunikation (GAB 1706)

In der Belle Époque war die Hotelarchitektur geprägt von einer Vielfalt an historisierenden Stilen, von Neobarock und Neugotik bis hin zum von den traditionellen ländlichen Holzbauten inspirierten «Heimatstil». Für die Gestaltung von Fassaden und Dächern griffen die Architekten auf ein breites Repertoire verschiedener Stilelemente der Architekturgeschichte zu und kombinierenten diese oft frei. Zu den bekanntesten Vertretern des Historismus im Schweizer Hotelbau gehörte der französisch-schweizerische Architekt Horace Édouard Davinet, der unter anderem mit dem Hotel Schreiber auf der Rigi Kulm (1874-1875) und dem Grand Hotel Giessbach im Berner Oberland (1874) Pionierarbeit in Sachen Grandhotels leistete. Später profilierte sich der Schweizer Architekt Eugène Jost mit Bauten wie dem Caux Palace Hotel (1902), dem Montreux Palace (1906) und dem Hôtel Beau-Rivage Palace in Lausanne (1908).

Während der Belle Époque standen die Grandhotels an vielen Orten als Symbol für Urbanisierung, wirtschaftlichen Aufschwung und technologische wie architektonische Glanzleistungen. Schon damals aber war die Tourismusbranche wegen der Verbauung der Landschaft scharfer Kritik ausgesetzt. Der französische Schriftsteller Alphonse Daudet mokierte sich über das «Kasino mit Panorama» zu dem die Schweiz in seinen Augen verkommen war. Der Schweizer Heimatschutz wurde 1905 unter anderem aus Protest gegen die wilde «Verbahnisierung» der Berge gegründet. 

Die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Implosion der Tourismusbranche läutete das abrupte Ende der Grandhotelära ein. In den 1920ern löste das minimalistische, der Wirtschaftlichkeit unterworfene «Neue Bauen» den extravaganten Baustil der Belle Époque ab. Der Historismus hatte ausgedient und seine prominentesten Vertreter wie Davinet und Jost gerieten in Vergessenheit. In den folgenden Jahrzehnten wurden viele Grandhotels abgerissen oder fielen Bränden zum Opfer. Einigen, wie dem Grandhotel Giessbach oder dem Caux Palace Hotel, blieb nur dank grossen Bemühungen von engagierten Privatpersonen dieses Schicksal erspart.

Die Fotos der Familie Gabler

Sämtliche Fotografien in diesem Blog-Post wurden vom Fotografieatelier Gabler aufgenommen. Das Familienunternehmen aus Interlaken fotografierte über mehrere Generationen (zwischen 1870 und 1930) quer durch die Schweiz und dokumentierte damit nebenbei die Entwicklung des Tourismus in den Alpen.

Das Bildarchiv der Familie Gabler wurde 1949 in die umfangreiche Fotosammlung des Museums für Kommunikation aufgenommen. Im Rahmen des Projektes ODIL hat das Museumsteam diese Bilder in den letzten Monaten erschlossen und digitalisiert. Eine Auswahl davon ist als kleine Schau ab dem 6. Juli 2023 in der Kernausstellung des Museums zu sehen.

Autor

Roger Steinmann, Fachmann Information und Dokumentation, Museum für Kommunikation, Bern

Literatur

Ecclesia, Alexandra: Horace Edouard Davinet 1839-1922 Hotelarchitekt und Städteplaner, Zürich: Hier und Jetzt, 2021.

Flückiger-Seiler, Roland: Hotelträume zwischen Gletschern und Palmen: Tourismus und Hotelbau 1830-1920, Baden: Hier und Jetzt, 2001.

Flückiger-Seiler, Roland: Hotelpaläste zwischen Traum und Wirklichkeit: Schweizer Tourismus und Hotelbau 1830-1920, Baden: Hier und Jetzt, 2003.

Lüthi, Dave: Eugène Jost: architecte du passé retrouvé, Lausanne: PPUR, 2001.

Schärli, Arthur: Höhepunkt des schweizerischen Tourismus in der Zeit der «Belle Epoque» unter besonderer Berücksichtigung des Berner Oberlandes, Bern: Peter Lang, 1984.

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Kommentare (1)

  • Fisiks
    Fisiks
    am 03.10.2023
    ein toller Artikel - ei der Daus - informativ mit angenehmer Tiefe und sprachlich geschliffen - einwandfrei - herzlichen Dank. Der Artikel hat mir die Geschichte dieser Hotelpaläste sehr unterhaltsam nähergebracht

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