Faszination Unglück
Die Faszination für Unfälle und Unglücke – sie ist bekannt aus News und Kunst. Auch in unserer Fotosammlung finden sich zahlreiche Bilder unschöner Ereignisse, die man doch irgendwie sehen will. Die Bilder sind oft nach allen Regeln des fotografischen Könnens aufgenommen. Mit viel Hingabe haben die Postbetriebe ihre Unfälle akribisch dokumentiert.
Trotz der Tragik, die hinter jedem Autounfall steckt, üben solche Ereignisse eine seltsame Faszination auf uns aus. Gewisse Zeitungen berichten deshalb mit Vorliebe darüber. Auch Andy Warhol hat sie als Sujet verwendet und der Schweizer Polizeifotograf Arnold Odermatt hat es mit seinen traurig-schönen Fotografien von Autounfällen zu internationalem Renommee gebracht. Er ist allerdings nicht der Einzige, der sein ganzes fotografisches Können in die Dokumentation von Unfällen legte und ihnen so eine schaurig-schöne Ästhetik verlieh.
Ein Blick in unsere umfangreiche Fotosammlung zeigt eine Vielfalt von Unfällen und Unglücken. Bereits vor Odermatts Zeit gab es ähnliche Bilder – damals noch von Kutschenunfällen und ersten Motorfahrzeugen. Es scheint fast, als hätte der stilvolle Blick aufs Unglück durchs Objektiv früher eine gewisse Tradition gehabt. In unserer Sammlung finden sich zahlreiche fotografische Qualitätsbilder, welche die Post und später die PTT (Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe) von Unglücken anfertigen liessen. Das ist umso erstaunlicher, weil viele dieser Bilder aus abgelegenen Winkeln stammen. Nach einem Unfall auf einer Passstrasse oder in einem abgelegenen Seitental musste also erst ein Fotograf (ganz selten eine Fotografin) aufgetrieben werden, der dann dorthin reiste, um vor Ort ein Foto zu machen. Ein dokumentarischer Eifer, der heute einigermassen erstaunt. Die Fotografen selbst begnügten sich dann nicht mit einem simplen Abbild der Situation. Sie verstanden ihr Handwerk und schossen oft eindrückliche Bilder mit stimmigen Bildkompositionen, gezielten Kontrasten und stimmungsvollem Gesamtbild. Sie haben ihre Aufgabe ganz offensichtlich ernst genommen.
Heute sind Strassen und Fahrzeuge zum Glück deutlich sicherer geworden. Wenn Sie also gerade den Kofferraum für die Ferien gepackt haben, dann gibt es zumindest eine gute Nachricht: Die Verkehrsunfälle sind seit den 1970er-Jahren rückläufig und vor allem die Zahl der Schwerverletzten hat in derselben Zeit stark abgenommen. Trotzdem – tun Sie uns den Gefallen und fahren Sie vorsichtig (oder nehmen Sie gleich den Zug).
Autor:innen
Luciana Rudaz, Konservatorin-Restauratorin Fotografie, Museum für Kommunikation, Bern
Nico Gurtner, Leiter Marketing & Kommunikation, Museum für Kommunikation, Bern