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Ein neuer Blick auf Briefmarken

Das Museum für Kommunikation hat eine der grössten öffentlich zugänglichen Briefmarkensammlungen der Welt. Das Briefmarkensammeln, die sogenannte Philatelie, hat mittlerweile ein verstaubtes Image. Wer Briefmarken als historische Quellen betrachtet und sie als Teil eines globalen Netzwerkes sieht, findet in ihnen aber spannende Geschichten.

Zwei Monate vor Entstehung dieses Textes trat ich die Stelle als Sammlungskuratorin für Philatelie, Post- und Verkehrsgeschichte im Museum für Kommunikation an. Schon zuvor, als Kommunikatorin in ebendiesem Museum war ich mit der Briefmarkensammlung in Kontakt gekommen und war von Beginn an fasziniert. Nicht, weil ich privat Briefmarken sammle. Sondern weil ich in dieser Sammlung eine Schatztruhe sah, die gefüllt ist mit Geschichten, die zu erzählen es sich lohnt. Es sind Geschichten über Menschen, Länder, wichtige Ereignisse, Macht und Ästhetik.

Als Sammlungskuratorin habe ich nicht nur die Aufgabe, zu entscheiden, was gesammelt wird, sondern auch, bereits Gesammeltes zu bewerten und in einen Kontext zu stellen. Bei beidem stehe ich im Moment vor der Herausforderung, meine eigene und neue Perspektive auf die Sammlung zu finden. Damit die Sammlung ihre Relevanz behält, ist es aber wichtig, auch anderen Perspektiven Platz zu lassen. Um diese ebenfalls einfliessen zu lassen, bin ich auf Inputs von aussen angewiesen: zum Beispiel auf die kritischen Meinungen meiner Kolleg:innen, auf aktuelle Beiträge aus der Forschung oder auf Fragen von Museumsbesucher:innen. 

Als Anstoss für einen Austausch ausserhalb der Museumsmauern möchte ich mit Ihnen Ideen teilen, welche ich in den letzten zwei Monaten hatte, Fragestellungen aufwerfen, über die ich gestolpert bin, und vor allem interessierte Historiker:innen, Philatelist:innen und Student:innen dazu einladen, sich diesen und anderen philatelistischen Themen zu widmen, damit wir zukünftig vielfältige Perspektiven in unserer Sammlung und unserer Arbeit abbilden können.

Philatelie als (Hilfs-)Wissenschaft

Noch heute bilden Briefmarkenmotive gesellschaftliche Themen ab. Es sind meistens mehrheitsfähige Normen und Werte einer Gesellschaft, die auf ihnen widerspiegelt werden. Die kleinen Marken sind Zeugnisse von Epochen und deren Zeitgeist. Trotzdem hat es die Philatelie nie in den Stand einer anerkannten Hilfswissenschaft der Geschichtswissenschaft geschafft. Gerade in der universitären Forschung wird wenig mit Briefmarken gearbeitet. Ich habe in meinem Geschichtsstudium nicht einmal Briefmarken analysiert, aber immer wieder Münzen oder Wappen. Das heisst aber nicht, dass keine philatelistische Forschung betrieben wird. Aber es ist eine Forschung, die meist ausserhalb von klassischen Wissenschaftsinstitutionen stattfindet. Es gibt bereits Ansätze, wie diese zwei Forschungsperspektiven, die universitäre und ausseruniversitäre, verbunden werden könnten. Ich frage mich trotzdem: Wie können diese beiden Perspektiven noch näher zusammengebracht werden? Wo können sich diese Forschungsansätze ergänzen? Und welche Rolle spielt dabei das Museum für Kommunikation?

Was wurde auf Briefmarken abgebildet?

Zu Beginn herrschte in den Motiven der schweizerischen Briefmarken noch keine grosse Vielfalt. Erst Anfang des 20. Jahrhundert änderte sich dies. Die Motive wurden immer unterschiedlicher. Bis in die 1940er Jahre wurden vor allem nationale Symbole, wie die Helvetia, Wilhelm Tell oder das Schweizerkreuz, auf Schweizer Briefmarken gedruckt. Die Motivauswahl wurde dann immer vielfältiger. Die Post bediente sich aber weiterhin oft nationaler Identitätsbilder. Beispielsweise wiesen zwischen 1945 und 2015 14% der Schweizer Briefmarken einen Alpen-Bezug in ihren Motiven auf, wie der Historiker Christian Rohr in seinem Artikel zu schweizerischen und österreichischen Briefmarkenemissionen feststellt. Gerade in den 1940er und 1950er Jahren haben alpine Motive ihre Hochphase. Ob dies Zufall oder Teil der geistigen Landesverteidigung war, wäre eine spannende Forschungsfrage, die es zu klären gilt. Durch Protokolle aus dem PTT-Archiv oder anhand der Briefmarkenentwürfe in der Sammlung für Kommunikation lassen sich sicherlich auch andere Symbolsprachen entdecken und erforschen.

Briefmarke mit Triangulationspunkt vor Pilatus - vergrösserte Ansicht
Dauermarke 1949: 70 Rappen Technik und Landschaft Triangulationspunkt

Welche Bedeutung haben Briefmarkenmotive im 21. Jahrhundert?

Gerade aus der heutigen Perspektive ist der Vergleich zwischen verschiedenen Ländern und ihren Briefmarkenmotiven spannend. Eine reine nationale Geschichtsschreibung ist nicht mehr zeitgemäss. Die Welt wird immer globaler – wird es die Briefmarkensprache auch? Welche Vergleiche lassen sich anstellen? Welche eurozentrischen Perspektiven findet man weltweit auf Briefmarken?

Im Unterschied zu anderen Alpenländern Europas, wie zum Beispiel Österreich, lässt sich in der Schweiz ab 2000 nochmals eine vermehrte Verwendung alpiner Motive feststellen. Auch hier ist nicht geklärt, warum dieses Motiv in den 2000er Jahren wieder vermehrt auftrat.

Das Alpen-Motiv lässt sich in einer speziellen Form auch auf Briefmarken anderer Länder finden: In den letzten Jahren kam es immer wieder vor, dass Schweizer Sportler:innen auf Briefmarken von afrikanischen Kleinstaaten gedruckt wurden, meistens waren es Wintersportler:innen. Grund dafür ist eine litauische Firma, die für verschiedenste Länder Briefmarken designt. Wie kam es dazu? Welche Bedeutung lässt sich einer Briefmarke zuschreiben, wenn sie von global tätigen Unternehmen gestaltet wird? Was zur Frage führt: Welche Bedeutung als Machtsymbol hat die Briefmarke heute, im 21. Jahrhundert, noch?

Zu sehen ist eine Briefmarke vom Inselstaat São Tomé und Príncipe welche Dominique Gisin zeigt.   - vergrösserte Ansicht
Briefmarke von São Tomé und Príncipe mit Dominique Gisin

Material – geht um die Welt

Dass Briefmarken zusammen mit der ihr zugrunde liegenden Post um die Welt geschickt werden, liegt auf der Hand. Aber von welchen internationalen Verknüpfungen erzählen sie sonst noch? Für die Herstellung der Briefmarken brauchte die Schweizerische Post beziehungsweise die mit dem Druckauftrag ausgestattete Eidgenössische Münzstätte Materialien, die in der Schweiz nicht produziert wurden. So zum Beispiel das Gummi Arabicum, das oft in gemischter Form als Gummierung auf die Rückseite der Briefmarke aufgetragen wurde. Das ist keine Ausnahme in der Kommunikationsgeschichte der Schweiz: Viele Produktionen von Telefon bis Postauto waren abhängig von ausländischen Rohstoffen und Materialien und somit vom weltweiten Handel. Welche Rolle hatte dabei die Eidgenössische Post beziehungsweise die PTT? Welche Auswirkungen hatte dieser Handel für verschiedene Gesellschaften? Und wer beschäftigt sich neuerdings mit solchen Fragen und nimmt andere Perspektiven ein als früher? Ich bin überzeugt, in unserer Sammlung befinden sich viele Objekte, die es sich lohnt aus einer globalen Perspektive zu betrachten. Briefmarken sind nur ein Teil davon.

Briefmarke alt mit Schweizerkreuz Wert: 2.5 Rappen - vergrösserte Ansicht
Dauermarke 1850 2-1/2 Rappen Orts-Post. Gummierung mit Gummi Arabicum und Dextrin

Die Liste mit offenen Fragen ist lang. Obwohl die Briefmarke immer mehr als historische Quelle benutzt wird, ist ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft. Ich freue mich darauf, noch mehr Fragen aufwerfen und bearbeiten zu können. Vor allem freue ich mich darauf, dass ein Austausch stattfinden kann. Wissen braucht einen partizipativen Raum, um zu wachsen. Diesen Raum möchte ich Ihnen nicht nur in meiner Rolle als Kommunikatorin bieten, sondern auch als Sammlungskuratorin.

Autorin

Nora Haldemann, Kommunikatorin und Sammlungskuratorin für Post- und Verkehrsgeschichte und Philatelie, Museum für Kommunikation, Bern

Dieser Blogpost ist auch auf unserem Onlineportal für Museumssammlung und PTT-Archiv erschienen.

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