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Digitale Liebe

Mensch sucht einfühlsame Maschine. Was nach Science-Fiction klingt, hat teilweise schon längst seine Umsetzungen in der Realität gefunden: Mit der Gatebox kauft man sich ein Smart Home inklusive Hologram-Freundin. Und ist es nicht hilfreich, den Notstand im Pflegeberuf mit freundlichen Robotern zu lösen? Digitale Liebe ist die Antwort auf alles. 

«641» sagt Samantha. Ihr Freund hatte sie eben gefragt, ob sie noch in jemand anderen verliebt sei. Sie, nach einigem Zögern: «Ja.» Und er: «In wie viele andere?» Von da weg läuft die schöne Liebesgeschichte ziemlich aus dem Ruder.

Kann man mehr als einen Menschen lieben? Wie viele mehr? Wenn die Polyamorie zur technischen Utopie wird, dann ist da viel Luft nach oben. Der Film «Her» aus dem Jahr 2013 spielt ein Science Fiction-Szenario durch, das früher Realität sein könnte als wir denken: Theodore verliebt sich in eine Maschine, eine verführerische, witzige, kluge Stimme aus dem Computer. Keine spröde Alexa, ein einfühlsames und neugieriges Gegenüber. Der Regisseur Spike Jonze inszeniert das so, dass man dem einsamen Theodore seine immer intensiveren Gefühle ohne weiteres abnimmt. Aber Achtung, Samantha hat nicht nur Cleverness, sie hat auch Rechenpower; was sie mit Theodore kann, kann sie ohne weiteres parallel noch mit vielen anderen – das Bild der perfekten Frau projizieren. Soll er nun eifersüchtig sein oder einfach komplett überfordert mit dieser Frau, die, so menschlich sie zu sein vorgibt, ganz und gar Unmenschliches vermag? Theodore weiss sich nicht zu helfen. Und bald einmal werden Samantha die Menschen sowieso zu langweilig, es zieht sie fort zu anderen Künstlichen Intelligenzen.

An einer braunen Wand mit einem Rankbogen für Pflanzen, hängt ein Bildschirm auf dem der Titel des Videos zu lesen ist, das dort geschaut werden kann und ein Videoausschnitt mit einer weissen Plüsch-Robbe. - vergrösserte Ansicht
Die Robbe Paro im Einsatz in der Pflege.
Im Vordergrund hält jemand ein Smartphone und dahinter ist ein Glaszylinder zu sehen mit dem Hologramm einer weiblichen Mangafigur darin. - vergrösserte Ansicht
Die japanische Gatebox ist der Partner:innenersatz für Vielarbeitende.

In Japan ist diese Zukunft, in der uns Maschinen über unser Alleinsein hinweghelfen, übrigens schon angebrochen. Wer sich eine Gatebox kauft, kann diese zwar auch mit der Lichtsteuerung der Wohnung verbinden und mit dem Handy synchronisieren, aber dabei geht es nicht in erster Linie darum, das Leben bequemer einzurichten. Mit der Gatebox kauft man sich eine kleine Freundin, mit der man nicht nur (derzeit noch eher simpel gestrickte – Samanthas Schlagfertigkeit ist noch fern) Gespräche führen kann, sondern die tatsächlich präsent ist, als kleines leuchtendes Hologramm, in einen Glaszylinder gesperrt. Eine typische japanische Kleinemädchenphantasie – man kann das durchaus fragwürdig finden. Aber eines zeigt die Gatebox sehr deutlich: Es gibt einen Markt für Geräte, zu denen wir eine emotionale Bindung eingehen – die mehr sind als kleine technische Helfer.

Vielleicht noch kontroverser als die japanische Hologramm-Freundin ist «Paro», was zunächst einmal eher erstaunlich ist – bei einer süssen Plüsch-Robbe, die nicht mal sprechen kann, höchstens beruhigende Geräusche machen. Paro ist aber kein Kinderspielzeug, sondern kommt in der Pflege zum Einsatz, insbesondere bei älteren Menschen mit Demenz. Und das mit konsistent guten Resultaten, was das Allgemeinbefinden der Patientinnen und Patienten angeht. Paro beruhigt und heitert auf, gerade die Einfachheit der Interaktion ist wohl der Schlüssel zum Erfolg: Streicheln, umarmen, «Babytalk». Demente Menschen mit einer pseudo-intelligenten Puppe beschäftigen? Gegen den Einsatz im Pflegeheimalltag hagelt es immer wieder Kritik – Menschen bräuchten soziale Interaktion mit anderen Menschen, nicht mit Maschinen. Solche Lösungen seien unwürdig.

Auch da wieder hat man in Japan ein wenig andere Grundwerte. Auf einer Messe für Medtech in Tokio hat mir an einem Stand mit kleinen humanoiden Robotern mal ein Firmenvertreter erklärt, dass es im Pflegeberuf bald zu personellen Notständen kommen werde. Japan mit seiner restriktiven Einwanderungspolitik ist bei dem Thema besonders sensibilisiert. Ich fragte, welche Aufgaben die Maschinen seiner Meinung nach am ehesten übernehmen könnten und er meinte ohne Zögern: Wenn die Patientinnen und Patienten Zeit mit sozialen Robotern verbringen, dann hätten die Pflegefachkräfte endlich wieder genug Zeit, ihre Arbeit gründlich zu machen: Hygiene, medizinische Aufgaben, für Ordnung sorgen.

Eine Menschenhand und ein Exo-Skelett geben sich die Hand. - vergrösserte Ansicht
Wie partnerschaftlich im wahrsten Sinne des Wortes soll die Beziehung zwischen Mensch und Maschine gehen?

Werden wir immer einsamer, je mehr Maschinen um uns herum sind? Oder werden unsere Beziehungen im Gegenteil immer vielfältiger? Haben wir mehr Freunde dank Facebook oder verarmt unser Sozialleben? Fragen ohne einfache Antworten – je nach Generation und Kultur werden sie ganz anders ausfallen.

Autor

Roland Fischer 

Freier Wissenschaftsjournalist und Organisator von Wissenschaftsevents.

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