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Dialog, Geschenk und dazwischen die Fremden

Manchmal vermischt sich der Museumsalltag mit Integrationsbemühungen und der grossen Politik im Bundeshaus. Und dazwischen taucht noch ein Werber auf, der die Kosten drücken will. Ein Tag im Leben unserer Kommunikatorin Aviv Szabs. 

Museum für Kommunikation, am Kommunikator:innen-Tisch in der Ausstellung.

“Möchtest du ein Gschänkli?”, frage ich. “Schänkli was?” fragt das Kind. Es könne mich nicht verstehen, wenn ich Dialekt und Schriftdeutsch mische. “Geschenk”, korrigiere ich mich. Hochdeutsch fällt mir leichter als Dialekt, aber man kann es ja mal versuchen. Was ist eigentlich ein Geschenk, fragte ich mich. Wer legt fest, ob es ein solches ist. Nur die gebende Person?

Später setzt sich Katrin Jawohl zu mir an den Tisch. “Wollen wir zusammen spielen?”, fordere ich sie auf. “Ja, besser als am Computer”, antwortet Kathrin mit einem Lächeln. Das Spiel: Stadt, Land, Fluss. Katrin spielt allein. Ich beginne mit “AAA...”. “Stopp”, ruft Katrin. Der Buchstabe J kommt heraus. Die erste Kategorie heißt Kommunikationsmittel. Katrin will Gin schreiben, weil Schnaps für sie ein wichtiges Kommunikationsmittel ist, aber sie weiß, dass Gin mit G anfängt und nicht mit J. “Jägermeister?”, helfe ich ihr. Katrin schreibt es auf und kommentiert: “Jägermeister, das ist Kommunikation durch den Bauch”.

 

Zuhause beim Zähneputzen, 3008 Bern.

Während die Hand im Autopilot schrubbt, hänge ich Gedanken nach. Was sagt dir dein Kopf und was dein Bauch? Diese Frage haben mir Leute gestellt, als ich sie bei einer wichtigen Entscheidung über einen Job für eine Werbekampagne konsultiert habe.
Aber manchmal kann ich das nicht so genau interpretieren. Die Grenzen zwischen Bauch und Kopf sind unscharf. Ich konnte mich nicht entscheiden, da half auch kein Jägermeister.

Jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht mehr mit dem Herrn Cedric reden muss. Der Typ von der Werbeagentur. Schon nur die künstliche Art, wie er mich am Telefon begrüsste, liess mich erschaudern und stimmte mich misstrauisch. Nach mehreren Telefonaten beendete er auf dieselbe künstliche Weise unser Gespräch. “Ich verstehe dich, kein Problem, wir finden jemand anderen für die Kampagne.” Und zum Schluss noch ein “Alles Gute für deine Zukunft”.

Wollte er mir damit sagen, dass es ein Fehler war, nicht das Gesicht einer Kampagne für eine Deutschschule sein zu wollen? Eine Deutschschule, die ich über ein Jahr lang intensiv besucht hatte, um mich zu integrieren. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass in dem Vertrag, den die Schule mir schickte, nichts über eine Bezahlung oder den Umfang der Kampagne vermerkt war. Ich stellte mir vor, wie Herr Cedric mit seinem Zahnpasta-Werbegrinsen leicht verärgert hinter einer Glastür stand und die Türe schloss, als er merkte, dass ich den Job nicht unbezahlt machen würde.

 

Museum für Kommunikation, zurück am Kommunikator:innen-Tisch.

Nach 3 Minuten und 49 Sekunden hat Katrin Jawohl alle Kategorien von Stadt, Land, Fluss beantwortet. Katrin will gerade aufstehen, als ich sie darauf aufmerksam mache, was es sonst noch Interessantes im Museum zu erleben gibt. Sie hat mich nicht darum gebeten, ich habe es einfach gemacht. Es ist wie ein kleines symbolisches Geschenk auf den Weg. Ich benutze diese Methode oft, wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme. Es tut gut, es macht mich glücklich und mein Gegenüber auch. Aber kann ich ein Gespräch auch ohne Geschenk beenden?

Katrin Jawohl kommt aus Zürich und ist seit einigen Jahren pensioniert. „In all diesen Jahren war ich nie im Bundeshaus und ich bin eine richtige Schweizerin!“ Heute ist der Tag gekommen, endlich steht sie im Regierungsgebäude der Schweiz. Nachdem sie sich satt gesehen hat, geht sie ins Museum für Kommunikation – eine Kombination, die von den Besuchenden oft gewählt wird. Ich dagegen bin erst seit vier Jahren in der Schweiz und bin schon durch die hohen Räume des Bundeshauses geschlendert. Es war in der letzten Lektion meines Deutschkurses, als wir zum Abschluss mit der ganzen Klasse das Bundeshaus besuchten.

Bevor Katrin Jawohl den Tisch verlässt, sprechen wir über die Kunstwerke im Bundeshaus. Katrin meint, dass die meisten dieser Werke wohl Geschenke von hohen Staatsbesuchen sind. In politischen Kreisen war es lange üblich teure Geschenke zu bringen, ein Verhalten das heute absolut verboten ist. So verboten, dass das Schweizer Bundeshaus im letzten Jahr eine neue, moderate Geschenksammlung anfertigen liess. Zum Beispiel eine duftende Kerze inklusive Kerzenständer, wie Katrin Jawohl so schön erzählt. Das ist nur symbolisch und ein Zeichen von Respekt, mit der Absicht das in offiziellen diplomatischen Beziehungen der Gast etwas in der Hand hat.

Unter der Bettdecke, vor dem Bildschirm, 3008 Bern.

Auf der Website der Deutschschule, die ich über ein Jahr lang besuchte, steht, dass sie die Nummer 1 für Deutsch- und Integrationskurse sei. Die Wände der Cafeteria der Deutschschule sind mit Postern geschmückt, von lächelnden Eingewanderten, die ihre Kurse besuchten. Jetzt, nach 15 Jahren, hat die Schule beschlossen, eine neue Werbekampagne zu starten. Es soll eine grosse nationale Kampagne werden, geführt an den insgesamt neun Standorten in der Schweiz. Die Kampagne soll sechs Erfolgsgeschichten von ehemaligen Studierenden beleuchten, die dann auf Plakaten an zentralen Orten wie Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen in drei Sprachen zu sehen sein werden. Neben den Portraits der Teilnehmer:innen führt ein QR-Code zu einem Video, in dem sie über ihre Erfahrungen an der Schule berichten. Oder anders ausgedrückt, sie erzählen über ihren erfolgreichen Integrationsprozess dank der Schule. Die Videos und Bilder stehen der Schule laut Vertrag zeitlich unbegrenzt zur Verfügung und können in jeder Form weiterverwendet werden. Über eine Vergütung für die teilnehmenden Ehemaligen ist in dem halbseitigen Vertrag nichts zu finden.

 

Auf dem Bundesplatz, mitten in Bern.

Der Markt am Dienstag war für Katrin Jawohl ein Ärgernis, da sie die neue Fassade des Bundeshauses kaum sehen konnte. Es handelt sich um ein Mosaikkunstwerk der Künstlerin Renée Levi und ihres Partners Marcel Schmid. In einem Beitrag von SRF wird über die Geschichte des Mosaiks von Studio Renée Levi mit dem Titel «Tilo» berichtet: Das Kunstwerk erinnere an die zwölf Frauen, die im Herbst 1971 als erste Parlamentarierinnen ins Bundeshaus gewählt wurden - Tilo Frey war eine von ihnen, die erste Nationalrätin of Color im Schweizer Parlament. Neben der Abtreibung und der Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens, setzte sich die freisinnige Nationalrätin als Parlamentarierin für Lohngleichheit ein. Bei «Tilo» geht es auch darum, klar zu machen: Nach den Frauen warten noch andere auf Inklusion, zum Beispiel Ausländer:innen. Und ich stelle mir vor, was Tilo Frey dazu sagen würde, dass Migrant:innen Teil einer großen Kampagne für eine Deutschschule sein sollen, ohne dafür bezahlt zu werden. Der Umgang mit Minderheiten in einer Demokratie, in der letztlich immer die Mehrheit entscheidet, ist eines der großen Themen, mit denen sich die neue Kunst an der Fassade des Bundeshauses auseinandersetzt. In diesem Sommer, in dem die Sonne scheint und die Schönheit von „Tilo“ zeigt, in dem das Bundeshaus ein Spiegel der Schweizer Gesellschaft sein will, nur sieben Minuten zu Fuss, 450 Meter vom Berner Hauptbahnhof entfernt, werden die Gesichter und die Identität von sechs Menschen, die kaum die Möglichkeit haben, ihre Stimme zu erheben, zu Marketingzwecken an eine Institution verschenkt, die damit für Integrationskurse wirbt.

Autorin

Aviv Szabs, Jahrgang 1992, emigrierte 2020 aus familiären Gründen in die Schweiz. Seither ist sie im Besitz des Ausweis B. Sie lebt und arbeitet in Bern, als Kommunikatorin am Museum für Kommunikation und als Dresserin in Stadt Theater Bern. Parallel zu ihrer Arbeit ist sie freiberuflich als Performance-Künstlerin und Radiojournalistin tätig.

Grammatikalische Bearbeitung: Emanuel Baumann

Kommentare (1)

  • Urs Meyer
    Urs Meyer
    vor 3 Tagen
    Aus einem Sessel im Grünen mit Blick aufs Museum für Kommunikation: Danke an Aviv Szabs für diesen erhellenden Beitrag, der passend viele Gesichter von Kommunikation zeigt und mir Umstände, Misstände und Zwischentöne im Miteienander sichtbar macht!

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