VORORT vorORT - ein Ideenkatalog auf dem Weg ins Museum
Was passiert im Bereich zwischen Museum und öffentlichem Raum? Wie wird auf das, was im Museum drin passiert, aufmerksam gemacht? Geht das Draussen hinein oder kommt das Drinnen heraus?
Räume vor Museen sind nicht nur geografisch zu verorten. Sie sind Orte der Begegnung und Narration. VORORT vorORT – hier findet das Vorspiel eines möglichen Museumsbesuchs statt. Ein Gastbeitrag von Claudia Heiniger.
Während der letzten zwei Jahre habe ich den Aussenraum im Quartier, Aussenräume vor Museen oder solche in der Stadt anders wahrgenommen und habe mich immer mehr dafür interessiert. Räume wurden während dieser für uns ungewöhnlichen Zeit anders genutzt. In meiner Wohnstrasse bildeten sich Menschenschlangen vor Geschäften, da die Kundenzahl im Innern beschränkt war. Das Warten wurde sichtbar und veränderte für kurze Zeit den öffentlichen Raum.
Bei den Museen im Kanton Bern war die Situation im Herbst ’20 folgende: Die Schliessung verlangte vorerst viel Ideenreichtum, das kulturelle Angebot der verschiedenen Institutionen nach aussen zu tragen. Die Museen mussten sich auf neue Weise öffnen, um mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Nach der Wiedereröffnung im März 2021 entstanden die eingangs beschriebenen, mäandernden Warteschlangen auch vor den Museen, denn eine Auflage der Schutzkonzepte bedingte eine Beschränkung der Besuchszahlen.
«Warum müssen sich Museen öffnen? Um die Welt reinzuholen!»
Doch nicht nur die Pandemie veränderte das Verständnis vom Vorplatz der Museen. Seit ein paar Jahren wird rege über die Öffnung von Museen und kulturellen Einrichtungen diskutiert. Dieser Thematik der Öffnung nahm ich mich in meiner letztjährigen Abschlussarbeit für das CAS Kuverum an und darf hier einen Auszug aus der Arbeit «VORORT vorORT» vorstellen.
«Der Raum vor dem Museum bietet die Möglichkeit, den Inhalt des Museums
in die Realität, ins Draussen zu setzen und mit meiner Welt zu verorten.»
DEFINITION RAUM UND ORT
Orte schaffen die Möglichkeit von Begegnung und dies wiederum bietet Gelegenheit, um zu diskutieren, Meinungen zu bilden, Wissen auszutauschen, sich gegenseitig zu inspirieren oder einfach zusammen Zeit zu verbringen. Dabei findet neben einer Mensch-Mensch- auch eine Mensch-Raum-Begegnung statt.
Der Stadtsoziologe Ray Oldenburg definiert Orte der Begegnung und spricht vom ‹dritten Ort›. Seiner Auffassung nach bildet das Zuhause den ‹ersten Ort›. Der ‹zweite Ort› umschreibt den Arbeits- und Ausbildungsplatz. Der ‹dritte Ort› stellt den Anker des sozialen Lebens in einer Gemeinschaft dar.
Genau in diesem ‹dritte Ort› entsteht ein grosses Potenzial an kultureller Teilhabe auf verschiedenen Ebenen – von niedrigschwellig, spontan bis hin zu komplex.
Räume vor Museen bieten Interaktion und verändern sich deshalb auch immer wieder. Idealerweise schaffen sie einen Bezug zu den Inhalten im Innern. Die Veränderungen werden aber nicht nur von den Museen getragen. Es ist wichtig, dass die Beteiligung des Publikums den Ort auch immer wieder anders erscheinen lässt.
Interventionen können zum Beispiel in Form von Möblierung an verschiedene Vorplatz-Situationen angepasst werden. Oder sie sind an einen bestimmten Vorplatz gekoppelt, können aber je nach Thema geändert werden.
Oft liegen definierte Vorplätze auf städtischem/öffentlichem Boden. Dieser Fakt ist wichtig und muss in die Diskussion einfliessen.
«Eigentlich sollte jede kulturelle Institution/jedes Museum eine Piazza haben;
hier trifft man sich, hier tauscht man sich aus, hier konsumiert man, hier ist
man auf der Durchreise.»
MUSEEN UND IHRE VORPLÄTZE
Im Moment geschieht in Bern punkto Vorplätze gerade einiges. Das Projekt Museumsquartier bespielte letzten Sommer das erste Mal den Platz zwischen den Museen mit einem Irrgarten für Kinder. Der Zaun zwischen dem Historischen Museum und dem Museum für Kommunikation wurde entfernt und das Projektbüro der Geschäftsstelle des Museumsquartier Bern wurde in den Perimeter zwischen diesen Museen platziert.
Das Kunstmuseum Bern denkt seine Neuausrichtung architektonisch weiter und erhält die nötige finanzielle Unterstützung. Dabei soll die Hodlerstrasse verkehrsberuhigt werden und das Kunstmuseum Bern mit dem Waisenhaus- und Bärenplatz verbunden werden. Wunderbare Vorplätze des Museums!
«Die kulturelle Teilhabe passiert vielleicht nicht zeitgleich mit dem Besuch
des Ortes. Jemand kommt jeweils bei schönem Wetter im Park Mittag essen,
besucht das Museum jedoch nicht – oder vielleicht erst Jahre später?»
Es entspricht dem Zeitgeist, dass durch die Öffnung von Museen und kulturellen Institutionen neue Räume für Museumsbesuchende, aber auch für die ganze Bevölkerung entstehen. Diese Räume gewinnen immer mehr an Bedeutung. Als wichtige, internationale Beispiele können das Museumsquartier in Wien oder der Paseo del Prado in Madrid erwähnt werden. In diesen Städten sind die Vorplätze der Museen verbunden; es sind neue Räume der kulturellen Teilhabe entstanden. Wie oben bereits erwähnt, passiert auch in Bern in dieser Hinsicht gerade Wegweisendes.
BENENNUNG DES VORPLATZES – EIN VORZEIGE-BEISPIEL
In einem telefonischen Austausch mit Gallus Staubli, Leitung Vermittlung des Museums für Kommunikation, bestätigen sich meine Einschätzungen bezüglich des Vorplatzes dieses Museums. Der Raum vor dem Museum wird Promenade genannt. Diese Benennung sei wichtig, unterstreicht Gallus Staubli im Gespräch. Eine Promenade sei transparent, werte auf, sei Treffpunkt für Anwohner:innen, Ausstellungsbesuchende und für das Quartier. Es würden Inhalte sichtbar gemacht und eine Verbindung nach innen geschaffen. Die Promenade werde im Vermittlungsangebot mitgedacht und bilde eine der sieben Zonen des Museums (sechs drinnen, eine draussen), erklärt er. Die Zone im Freien werde als Begegnungsraum genutzt; es steht Besuchenden offen, wie und wann sie den Raum nutzen wollen - er ist 24h/7 Tage zugänglich.
Der Boden der Promenade gehört den angrenzenden Museen und der Burgergemeinde. Das Gespräch mit Gallus beantwortet viele meiner eingangs gestellten Fragen und Überlegungen. Das Einbeziehen der Promenade in die Vermittlungsarbeit finde ich grossartig und deshalb ist das Museum für Kommunikation in dieser Hinsicht ein Vorzeige-Beispiel.
ERKENNTNISSE
Räume vor Museen bieten eine grosse Chance, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, noch bevor Museumseingänge überwunden werden müssen. In diesen Räumen stossen persönliche Geschichten auf Interaktionen und lassen soziale Räume entstehen.
Viele kulturvermittelnde Angebote werden im Innern eines Museums angeboten. Als Besucher:in muss ich also bereits die Hürde des Eingangs überwunden haben, um in die Welt des entsprechenden Museums eintauchen zu können. Die kulturelle Teilhabe der Museen muss vor Ort nach aussen getragen werden, um den Schritt ins Innere der Museen zu erleichtern.
Dieser Forderung der Kulturvermittlung wird zusehends Rechnung getragen. Das Angebot an Vermittlung ausserhalb von Museen ist am Wachsen. Dabei kommt dem Eingang und dem Vorplatz der Museen eine wichtige Rolle zu und immer öfter wird dieser ideale Raum für Vermittlungsangebote kultureller Teilhabe zur Verfügung gestellt.
Möglichkeiten des Lernens, des Erlebens, des Erfahrens – Vorplätze übernehmen eine wichtige Funktion, wenn es darum geht, Besucher:innen willkommen zu heissen und Schwellen aus dem Weg zu räumen, die durch die Erscheinung des Museums entstehen.
«Auf dem Vorplatz haben die Museen die Möglichkeit, Besucher:innen willkommen zu heissen,
bevor diese eine grosse, schwere Museumstüre öffnen müssen!»
Dieser Auszug soll neugierig auf die ganze Arbeit VORORT vorORT machen – unter folgendem Link (https://kuverum.ch/projekt.php?proid=237#) kann die Arbeit runtergeladen werden.
Autorin
Claudia Heiniger, Dipl. Designerin (FH)